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Zwiespältige Beziehung zum Ostjudentum

Zwiespältig war auch Jakob Wassermanns Beziehung zum Ostjudentum. Fremd stand er dem in Wien und Unterfranken angetroffenen Ostjudentum mit seinen angeblich wucherischen und ghettohaften Zügen gegenüber. In seinem Rechenschaftsbericht "Mein Weg als Deutscher und Jude" heißt es: "Sah ich einen polnischen oder galizischen Juden, sprach ich mit ihm, bemühte ich mich, in sein Inneres zu dringen, seine Art zu denken und zu leben zu ergründen, so konnte er mich wohl rühren oder verwundern oder zum Mitleid, zur Trauer stimmen, aber eine Regung von Brüderlichkeit, ja nur von Verwandtschaft verspürte ich durchaus nicht. Er war mir vollkommen fremd, in den Äußerungen, in jeden Hauch fremd, und wenn sich keine menschliche Sympathie ergab, sogar abstoßend." Anderereits bewunderte er jene Gestalt des Judentums, die er das "jüdische Judentum" nannte, jenen Gegensatz zum "deutschen Judentum".

In einem Brief an Martin Buber beschreibt er eine Gestalt, die zum modernen Juden im Gegensatz steht, und singt ein Loblied auf jene Ostjuden, die auch bei Buber alle Aufmerksamkeit auf sich zogen:"Der Jude hingegen, den ich den Orientalen nenne - er ist natürlich eine symbolische Figur; ich könnte ihn eben sowohl den Erfüllten nennen oder den legitimen Erben -,..da ihn ein edles Bewusstsein, Blutbewusstsein, an die Vergangenheit knüpft und eine ungemeine Verantwortung der Zukunft verpflichtet.. Er kennt seine Quellen, er wohnt bei den Müttern, er ruht und schafft, jene sind die ewig wandernden Unwandelbaren."

Das kosmopolitische Judentum empfand der Schriftsteller dagegen als entfremdet und entwurzelt, als ein Judentum, das sich seiner selbst schämt, das äußerliche Judentum der Wassermanns. Andererseits ist das innere Judentum - auch das der Wassermanns - jenes, das mit den (Ur-)Müttern lebt, das all seine irrationale Kraft erhalten hat. Ein Judentum ohne Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten, ohne Heimat wird einem Judentum gegenübergestellt, dessen Vergangenheit es auf seine Zukunft hin verpflichtet, das stolz die Verantwortung für seine eigene Existenz übernimmt.

Von daher verachtete Wassermann seine eigene Maske, die des "deutschen Juden", der zwischen den Extremen nichts als ein entwurzelter Kosmopolit und in seinen eigenen Augen stigmatisiert ist. Wie schmerzlich die Erfahrung der Unsicherheit für ihn war, machen seine Erinnerungen deutlich:"Wozu war man also noch Jude und was war der Sinn davon?" Vielleicht ließ ihn gerade diese Unsicherheit jene Juden beneiden, die sich über ihre eigene Identität keine Gedanken machten, sondern die sich selbst als selbstverständliche Wesen lebten. Er war hingerissen von jüdischem Stolz, weil er selbst durch seine Zurückweisung durch die kultivierte deutsche Gesellschaft so gedemütigt war, jener Gesellschaft, in die er Eintritt suchte. "Die Emanzipation", sagt sein Held Warschauer, ist "eine listige Erscheinung.. sie nimmt dem Unterdrückten den Vorwand, sich zu beklagen."

Wassermann hatte eine Vorliebe für die durch und durch "jüdischen Juden" wie auch Josef Roth und Franz Kafka. Doch war Wassermann wohl der zwiespältigste dieser drei Autoren, auch wenn er bis zu seinem Tod Mitglied der jüdischen Gemeinde Graz blieb.

Übrigens: Der amerikanische Schriftsteller Philip Roth hat später wie Joseph Roth und Jakob Wassermann das "jüdische" Bild osteuropäischer ultra-orthodoxer Judentum aufgenommen, um ein authentisches Judentum als Gegensatz zum assimilierten, entleerten Judentum der amerikanischen Vorstädte zu zeichnen. -

So stand Jakob Wassermann zwischen mehreren Fronten, abgelehnt von den orthodoxen und zionistischen Juden, abgewiesen von den Deutschen, um die er warb. Die Unsicherheit wurde noch größer als am 24.Juni 1922 der jüdische Außenminister Walther Rathenau ermordet wurde, mit dem Wassermann befreundet war und für den er einen öffentlichen Nachruf schrieb.

Diesen Mord empfand er , als sei er als auf alle Juden gezielt gewesen. "Jene unwiederbringliche Symbiose der beiden Völker- in niemandem, es wäre denn Heinrich Heine, ist sie fruchtbarer gewesen", meint Hilde Spiel, "und keinem erschien sie so fatal."

Immer wieder hat Wassermann nach dem "Los der Juden" gefragt und überlegt: "Was ist ein Jude? Was ist jüdisch? Was ist Judentum?" Juden waren für ihn "die Gezeichneten, Auserwählten, mit Erinnerungen Beladenen, Schicksalserfüllten".

Gegen Ende seines Lebens im Jahr 1933, als die braunen Horden endgültig das Land beherrschten, gestand Wassermann in seinen "Selbstbetrachtungen": "Nun hat mich aber doch das Schicksal zum Juden gemacht, das heißt zu einem Menschen, der sein Alles dransetzt, Blut und Seele, Leben und Nachleben, um zur 'Gleichgewichtslage' zu gelangen; wundert es dich da noch, dass die Idee der Gerechtigkeit über ihm hängt wie eine azurne Flamme?"

Wassermanns leidenschaftliche Suche nach Gerechtigkeit hat ihn, wie viele seiner jüdischen Leidensgefährten, während seines Lebens geleitet, mehr noch, obwohl er sich lange Zeit in erster Linie als "deutscher Dichter" fühlte, waren auch für ihn Gerechtigkeit und Judentum unauflöslich miteinander verbunden.

Wie in seinem Jugendroman "Kaspar Hauser", der Geschichte des Findlings, in "Der Fall Maurizius" und "Etzel Andergast" der Ruf nach "Gerechtigkeit für die Unschuld" ertönt, so verkünden viele seiner literarischen Figuren eine bessere und gerechtere Welt, eine aus eigener Bitternis und der Anschauung der "Kälte der Seelen, Trägheit der Seelen, Verkrustung der Seelen" entwickelten Utopie, als deren Prophet sich der Schriftsteller sah. Laut Thomas Mann war er stets besorgt um das Gute gewesen und sah seine moralische Verpflichtung darin, den Kampf wider die "Trägheit des Herzens" aufzunehmen.

Wassermann bekundet in seinem Werk immer wieder große Empathie für die Leidenden, Schwächeren und Hoffnungsvollen und vertritt dabei nicht selten einen moralischen und elitären Rigorismus. Denn die Pflicht des jüdischen Schriftstellers sei es, so Wassermann, an der Humanisierung der Gesellschaft mitzuwirken.


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