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5.Judas in der Literatur:

Fragen über Fragen (Langenhorst), die diese Figur zum bleibenden Rätsel und damit zur schriftstellerischen Herausforderung machen, nicht zuletzt deshalb, weil im Blick auf das Schicksal des Judas auch das Schicksal Jesu im besten Sinne frag-würdig (des Fragens würdig) geworden ist.

Judas gehört mithin zu den herausragendsten biblischen Figuren, die die Schriftsteller immer wieder fasziniert haben. Kein Jesus-Roman kommt ohne eine Porträtierung des Judas aus Krijot aus. Seine Rolle bleibt schon in den Schriften des Neuen Testaments unklar und uneindeutig.

Zunächst hielt man sich in der Literatur an die biblischen Vorlagen. Bei Abraham a Santa Clara (Judas der Erzschelm 1686) ging es um die Wandlung des zunächst gläubigen Jüngers. Einen Wendepunkt brachte Klopstocks "Messias" (1748-73). Judas glaubt hier an eine irdische Messiasherrschaft Jesu, bei der er selbst zu Macht und Reichtum gelangen werde. Er will mit dem Verrat Jesus zwingen, sich in seiner Herrlichkeit zu offenbaren. Auf dieser neuen Judas entlastenden Interpretation beruhen nahezu sämtliche Darstellungen der Folgezeit. Den Patrioten Judas, der nicht abtrünnig wird und auch nicht aus Gewinnsucht verrät, sondern selbst ein Enttäuschter ist, wollte Goethe in seinem "Ewigen Juden" zeigen. Aber das Stück blieb Fragment.

( s.Lapide S.38)

Viele literarische Ansätze versuchen Judas von plakativen Beschuldigungen freizusprechen.

Hermann Häring, Professor für dogmatische Theologie, geboren 1937 in Nijmwegen, ist sogar der Meinung, dass die Judas-Gestalt im letzten Jahrhundert bei den Schriftstellern mehr Aufmerksamkeit gefunden hat als bei den Theologen.

Einer der ersten Versuche, Judas nachträglich literarisch zu rechtfertigen und freizusprechen vom Schuldedikt der Geschichte ist der Sonettenkranz von Schalom Ben-Chorin (1913-1999). Er stammt aus der Zeit, als Schalom Ben-Chorin noch unter seinem Geburtsnamen Fritz Rosenthal in München lebte, und wurde 1935 in der

Gedichtsammlung "Das Mal der Sendung" veröffentlicht. Bemerkenswert: Hier liegt das frühe Beispiel einer Rechtfertigung des Judas vor - aus Sicht eines jüdischen Autors.

Das Gedicht "Judas Ischariot" beginnt mit dem Satz "Er war der Gläubigste unter allen Jüngern" und im letzten Vers umarmt ihn Gott und spricht zu ihm "Du bist nach ihm (nach Jesus d.V.) mein allerliebster Sohn."

Ben-Chorin hält sich einerseits ganz eng und treu an die biblischen Vorlagen, noch ungetrübt von Nachfragen der historisch-kritischen Exegese, wenn er etwa andeutet, dass die Jünger Matthäus und Johannes auch die Autoren der ihnen zugeschriebenen Evangelien seien. Aber er schiebt in die biblischen Vorgaben eine radikal neue Deutung des Judas, nicht Verräter aus Boshaftigkeit, Geldgier oder Schwachheit - sondern Prophet, Mitwisser und Mittäter des Erlösungswerkes, schließlich Gottes zweitliebster Sohn. Hier wird eine wirkmächtige Umdeutung biblischer und vor allem wirkungsgeschichtlicher Stereotypen und Klischeevorstellungen unternommen. In seinem Buch "Bruder Jesus" (1967)hat der Schriftsteller die Grundidee seiner Gedichte wieder aufgenommen und vertieft.

Schalom Ben-Chorin führt in "Bruder Jesus aus (S.140ff): Der Verräter Judas ist die rätselhafteste Gestalt der evangelischen Geschichte. Diese Gestalt bleibt merkwürdig schattenhaft. Die Motive des Verrats sind unklar. Es liegt nahe, anzunehmen, dass es tatsächlich ein politischer oder eschatologischer Aktivismus des Judas war, der ihn zu dem scheinbaren Verrat drängte. Judas will den Meister in eine Situation manövrieren, in der er sich als König der Juden offenbaren muss, er will ihn zur Entfaltung seiner messianischen Kräfte zwingen.

An der Historizität der Gestalt, meint Schalom Ben-Chorin, sei nicht zu zweifeln, denn gerade er war für die Urgemeinde eine so überaus peinliche Erscheinung, dass man sie nicht erfunden hätte.

Durch seine Tat schließt sich Judas von der Erlösung aus. Der Verrat war in der Heilsökonomie Gottes vorgesehen. Er ist die tragischste Gestalt im Neuen Testament.

Schalom Ben-Chorin weist auf eine seltsame Darstellung des Judas am Bronzeportal der Kathedrale von Benevento aus dem Jahr 1279 hin. Das Relief zeigt Judas an einer Palme hängend, mit aufgeplatztem Leib, aus dem die Eingeweide dringen. Die Gestalt des Erhängten aber wird von einem Engel umarmt, der den Verräter küsst. (Pinchas (S.13) ist allerdings anderer Meinung. Er sieht im Engel einen Teufel.) Aber bleiben wir bei Ben-Chorins Sicht.

"Welche Erkenntnis des unbekannten Künstlers! Judas wird hier als der Jünger gesehen, der sich opfert, der sein Heil opfert, um die Erlösertat des Meisters zu bewerkstelligen. Während der Fluch auf ihm lastet, nimmt ihn die Gnade von oben, der Engel, doch auf, denn das Opfer des Judas ist nicht minder heilsnotwendig als der

Opfergang Jesu." In der Ostkirche hat sich übrigens auch etwas von dieser Erkenntnis erhalten, während für das übrige Christentum Judas eine rein negative Gestalt blieb. Verhängnisvoll wirkte der Name "Judas", meint auch Schalom-Ben-Chorin, weil dieser mit Juden schlechthin identifiziert wurde, obwohl es im Neuen Testament auch positive Judas-Gestalten gibt. Aber nur die Gestalt des Judas Ischariot wurde auf das jüdische Volk als das Judas-Volk projiziert, was verhängnisvolle Folgen in der jüdischen Leidensgeschichte hatte. Judas blieb für das christliche Empfinden der Sohn der Finsternis im Gegensatz zu den Kindern des Lichts. Die Juden wurden insgesamt als die Söhne der Finsternis gesehen.

(Übrigens: An der Kirche von Vezelay in Burgund nimmt Christus den Leichnam des erhängten Judas auf seine Schultern und trägt ihn wie der gute Hirt das verlorene Schaf. "Was gibt dem Künstler das Recht, so frei mit der Überlieferung umzugehen?" heißt es in der Überschrift zu einer Abbildung.)

In der biblischen Welt spielt ebenfalls Ingeborg Drewitz' 1954 verfasstes Hörspiel "Judas Ischariot", das unter dem Titel "Der Mann, der Gott hasst" auch als Theaterstück aufgeführt wurde. Das Thema ließ sie offensichtlich nicht los. Mehr als zwanzig Jahre später, 1978, veröffentlichte sie eine kleine Prosaskizze unter dem Titel "Judas Ischariot", konzipiert als rückblickender Monolog, in dem sie Judas selbst zu Wort kommen lässt, der sich in einer kurzen Szene mit Jesus auseinandersetzt und zugeben muss, das er Jesus nicht begreifen kann, dass dieser höher und größer ist als alle Vernunft. (In: Die Samtvorhänge S.8)

Josef Reding hinterfragt in seiner 1958 veröffentlichten Kurzgeschichte "Wer betet für Judas?" die Verurteilung des Judas und betont, Judas lebt in allen.

Der jiddische Erzähler Schalom Asch (1880 in Polen geboren, 1957 in London gestorben), lebte seit 1906 in Palästina) hat sich dieser Geschichte ebenfalls angenommen, aber auch christliche Gestalten tauchen in seinen Romanen auf: "Der Nazarener", "Der Apostel", "Maria". Von jüdischen Lesern wurden diese Romane vielfach abgelehnt. (Schoeps Lexikon S.78) (Ludger Heid.)

Leo Perutz (1882 in Prag geboren, zog 1899 Wien und 1938 nach Tel Aviv um, gestorben 1957 in Bad Ischl) schrieb "Der Judas Leonardo". Der böhmische Kaufmann Behaim will nach guten Geschäftsabschlüssen auch noch alte Schulden in Mailand eintreiben. Während seines Aufenthalts verliebt er sich in ein junges unschuldiges Mädchen, das er, nachdem er erfahren hat, dass es die Tochter des Schuldners ist, skrupellos benutzt um an sein Geld zu kommen. Leonardo da Vinci arbeitet zu dieser Zeit gerade an der Vollendung seines "Abendmahls", durch Behaims Geschichte, die bald Stadtgespräch ist, hat er das Modell für seinen Judas gefunden. Perutz (1882-1957) hat in seinem letzten Roman, der zuerst 1959 erschien, Spannung mit psychologischer Raffinesse verbunden, kulturgeschichtliche Details mit den alten Themen Geld, Liebe und Verrat. Die Texteingriffe des Herausgebers von 1959 sind getilgt, der vielschichtige, anspruchsvolle Roman erscheint erstmals in der Originalfassung, ausführliches Nachwort.

Unterschiedliche Autoren haben die Judas-Geschichte aufgegriffen, polnische, amerikanische, italienische, spanische (andalusische Novelle) und französische wie Paul Claudel 1936 und Marcel Pagnol 1956.

Allerdings merkte Reinhold Schneider in "Winter in Wien", gegen Paul Claudel gerichtet, an: "Es ist fatal, wenn der Dichter so viel weiß wie Gott, wenn er sich auf das Geheimnis der Geschichte, auf das Mysterium der Fügung versteht."

In all diesen Texten erscheint Judas entweder als Widerstandskämpfer, als Nationalist, Sozialrevolutionär, Miterlöser oder als zweiter Messias.

Max Brod wiederum hat in seinem Roman "Der Meister" (1952) Judas als die Verkörperung des Bösen dargestellt, als nihilistischen Intellektuellen.

Luise Rinser hat in "Mirjam" (1983) als einen Gutgläubigen geschildert, der selber das Opfer eines Verrats wird.

Erich Mühsam verlegt die Geschichte in seinem Drama "Judas" aus dem Jahr 1921 in das Arbeitermilieu. Häufig tritt Judas als Ich-Erzähler auf und rechtfertigt sich. Nicht alle Romane sind gelungen, manche sind auch recht kitschig. Halten wir uns an gelungene Darstellungen.

Aber zuvor noch ein Hinweis auf zwei Romane, in denen Judas als Synonym für die Charakterisierung eines Verräter schlechthin gebraucht wird, schließlich sehen viele in ihm auch den Urvater der Informanten und Spitzel.

Birgit Lahan: "Genosse Judas. Die zwei Leben des Ibrahim Böhme." (Man hatte dem Bürgerrechtsanhänger Stasi-Kontakte nachgewiesen).

Helga Schubert wiederum stellt ihre Dokumentation über Denunziantinnen in Hitler-Deutschland unter das Schlagwort "Judasfrauen." Beide Autorinnen sehen in Judas den Verräter, doch ist hier diese Bezeichnung nicht antijüdisch gemeint.

Und es gibt auch sogenannte Judas-Thriller z.B. "Der Judas-Code" von James Rollins.-

Vierzig Jahre nach Schalom Ben-Chorin greift Walter Jens in seinem Roman "Der Fall Judas" und weitere vierzehn Jahre später in seinem Monolog "Ich, ein Jud. Verteidigungsrede des Judas Ischariot" genau dieselbe Grundidee des Judas auf und und gestaltet sie eindrucksvoll. (Jens: Zeichen des Kreuzes. Vier Monologe, Stuttgart 1994)

Höhepunkt der Judas-Literatur ist zweifellos Jens' Roman "Der Fall Judas". Erzähler dieses - auch vielfach als Theaterstück aufgeführten Romans ist der katholische Kirchenrechtler Ettore Pedronelli, der im Rückblick von einem denkwürdigen Prozess berichtet, den er zwölf Jahre zuvor im Namen des deutschen Franziskaners Berthold geführt hatte: sie hatten den förmlichen Antrag gestellt, Judas solle aufgrund seines Mitwirkens im Heilsplan Gottes seliggesprochen werden.

Lesen ab S.8 ff. bis S.18

In Rom wird tatsächlich daraufhin ein Verfahren eröffnet, Gutachten erstellt, Gegenplädoyers gehalten, das Schlussurteil fällt ohne definitive Entscheidung aus. Pedronelli und Bruder Berthold werden von der römischen Hierarchie kaltgestellt.

Drei Modelle werden genannt: (51, 60) War Jesus ein Opfer des Judas, der ihn arglistig täuschte? Undenkbar! War Judas ein Opfer Jesu, der einen Verräter brauchte? Ebenso undenkbar! Beide Modelle absurd. Oder waren Jesus und Judas gemeinsam Opfer des göttlichen Plans?

Jens bietet mehrere mögliche Interpretationen der Judas-Gestalt an und weist auf deren Grenzen hin: Judas ist hier das Sinnbild für alle Minderheiten, die um ihrer Andersartigkeit willen verfolgt werden.

Für Pedronelli und Bruder Berthold steht fest: Verständlich wird die Geschichte des Judas nur dann, wenn er nicht Verräter Jesu, sondern dessen Überlieferer war, wenn er nicht Feind Jesu war, sondern dessen engster bis zum letzten Kuss bezeugter Freund und Bruder, Miterlöser, bereit, die ihm in Gottes Plan zugedachte Rolle des Verräters zu spielen.

Diese These wird von den römischen Behörden abgelehnt, da sie radikal dem traditionellen Verständnis widerspricht. Lesen S.80 und S.93

Jesus braucht Judas mithin so dringend wie Gott den Teufel. Er dient Jesus in einem abgekarteten Spiel. Ohne ihn gibt es kein Christentum. Aber ohne ihn, die Inkarnation antisemitischer Zuschreibungen, auch kein Pogrom, kein Lager. kein Gas. Was wäre im Falle der Weigerung mitzuspielen geschehen? Ein millionenfaches Ja zum Leben, zur Versöhnung, zum Frieden - zu einem menschlichen Dasein, das nicht mit einem Mord und einem Selbstmord beginnt und in der Blutspur weitergehen muss?

Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass der vermeintliche Verrat notwendig war für die Entstehung des Judenhasses. Kein Verrat, kein Judenhass? Kein Holocaust? Judas war nicht das einzige Argument für christlichen Judenhass, aber ein schwerwiegendes.

Jens' Gedankenspiel, meint Petra Hallmayer in der "Süddeutschen" vom 6.4.1999, bleibt am Ende gefangen in den engen Grenzen einer braven Vernunft. Mit dieser aber lässt sich weder der (christlichen) Religion noch etwas so Irrationalem wie dem Antisemitismus beikommen. Walter Jens gibt also auf die oben gestellte Frage eine mögliche, wenn auch nicht erschöpfende Antwort.

Pinchas Lapide hat sich wiederholt mit Judas auseiandergesetzt. In "Judas, wer bist du? Von Kain bis Judas" (hier bietet er ungewohnte Einsichten in Sühne und Schuld) und in "Wer war schuld an Jesu Tod?"

(Pinchas Lapide geb.1922 in Wien, floh aus dem KZ, kämpfte in Palästina in der jüdischen Brigade, nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes wurde er Schüler Bubers in Frankfurt und wirkte dann als jüdischer Theologe, gestorben 1997): er fordert eine Rehabilitierung des Judas, weist auf die lange Reihe der Judasdeutungen hin: bei Leo Baeck, Martin Buber, Hermann Levin Goldschmidt, David Flusser und andere jüdische Denker und meint, es sei Zeit, dass Judas endlich auch von wohlmeinenden Christen Gerechtigkeit widerfahre - "in den Schulbüchern, auf der Kanzel und im Religionsunterricht." (S.42)

Lange hieß die klassische Antwort der Christen auf die Frage, wer war Schuld am "Gottesmord", kurz und bündig: Die Juden sind schuld! Seit dem von ihnen begangenen Gottesmord sind Juden, hieß es weiter: blind und verstockt. Der Kirchenhistoriker Euseb lässt den ersten christlichen Kaiser Konstantin in seiner Rede vor dem Konzil von Nicäa proklamieren: Von nun an nährt die grausame Legende alle Quellen des christlichen Anti-Judiasmus und scheint die unflätigen Hassausbrüche zu rechtfertigen. (S.95)

Wer imstande war, solch eine unfassbare teuflische Bluttat zu begehen, so folgerten die breiten Massen in ganz Europa, für den waren doch Dinge wie Ritualmord, Brunnenvergiftung, Pestverbreitung und Hostienfrevel ein reines Kinderspiel. (98)

Das religiöse Bild des Juden als "Christusmörder" wurde im 19.Jahrhundert mühelos säkularisiert. Er wurde zum Schacherjuden, Mammonanbeter und zum Wucherer. Schrittweise Verteufelung auf dem Mutterboden eines "christlichen" Antijudaismus.

Lapide: Hättest du doch Simon, David oder Jakob geheißen wer weiß? Vielleicht hätte so mancher selbst ernannte Rächer von Jesu Kreuzestod im Lauf der Jahre sein Mütchen nicht ausgerechnet an den Juden gekühlt."

s.S.99 Jacques Maritain bis 101 S.117.

Ferner sei noch darauf hingewiesen auf:

Uwe Saeger: "Die gehäutete Zeit. Ein Judasbericht".

Uwe Saeger erzählt die bekannte Bibelgeschichte, die mit dem Eintritt Judas' in Jesus' Jüngerschar beginnt und mit dem Verrat endet. Allerdings deutet er sie ebenfalls in seinem Roman um: Jesus, der Judas Gutes tut, braucht ihn als Verräter. Er funktionalisiert ihn, um der eigenen Leidensgeschichte und seiner Lehre Kraft zu verleihen.

Eine aus heutiger Perspektive geschriebene Erzählung, die nicht mehr als den Verrat beschriebe, würde dem Neuen Testament hinterher schreiben. Uwe Saeger, der 1987 den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt, will in seiner Erzählung "Die gehäutete Zeit. Ein Judasbericht" mehr.

Er erzählt die Geschichte von Jesus und seinem Verräter Judas, der wie kein zweiter Jünger geliebt wurde. In Saegers Bericht wirft Jesus Judas kleine Nahrungsbissen zu, die dieser mit geöffnetem Mund empfängt. Judas wird gegeben, und er empfängt die Gabe wie ein Hund. Die empfangene Zuneigung lässt Judas immer fetter werden. Der Herr mästet seinen Verräter, als würde er ihn schlachten wollen, aber er selbst wird schließlich zum Opfer werden. Jesus, der Judas Gutes tut, braucht ihn als Verräter. Jesus, der den Menschen in Liebe zugeneigt ist, verleiht seinen Worten durch das Leiden, das er auf sich nimmt, Gewicht. Beide, Jesus und Judas, verschmelzen im Verlaufe des Berichts zu "Jejudassus".

Uwe Saeger erzählt eine bekannte Geschichte, die mit dem Eintritt Judas' in die Jüngerschar beginnt und mit dem Verrat endet. Er hält sich an die Eckdaten der Geschichte aus dem Neuen Testament, deutet sie aber, indem er nach Gründen für den Verrat fragt. Nach Saegers Lesart ist Judas' Verrat Teil eines größeren Plans.

Der Heilsplan, den er der Geschichte unterlegt, hat drei entscheidende Ebenen, die ineinander verwoben sind: Jesus braucht für seine Geschichte den Leidensaspekt, den Judas garantiert. Doch auch Jesus hat eine bestimmte Funktion in einem Plan zu erfüllen. Er trifft sich heimlich mit Männern, die mit ihm und seiner Lehre bestimmte Absichten verfolgen. Insofern ist der Herr in seinem Tun zwar Herr seiner selbst und zugleich auch nicht. Und schließlich sind alle Beteiligten Teil eines göttlichen Planes, was die Frage nach der Willens- und Entscheidungsfreiheit für den Einzelnen aufwirft.

"Prometheus Ende" heißt eine Erzählung, die Uwe Saeger 1998 vorlegte. Das darin aufgerufene Thema von der Selbstverwirklichung greift er nun, zehn Jahre später, in "Die gehäutete Zeit" erneut auf. Uwe Saeger hinterfragt in dem neu erschienenen Bericht die Möglichkeiten, die der Einzelne in der Geschichte hat. Prometheischer Anspruch und die Niederungen des Verrats sind der Spielraum, der sich zwischen Wiege und Grube eröffnet. Saeger vermisst diesen Raum auf beeindruckende Weise und zeigt ihn in all seiner beklemmenden Enge.

Gedichte über Judas

Etliche Autoren verfassten auch Gedichte über Judas, zum Beispiel

Conrad Ferdinand Meyer, Henrik Ibsen und Josef Weinheber. In seinem Gedicht "Judaskuss" heißt es. "Ihr seht nur das verfluchte Geld, das ich genommen hab." Er habe es getan, damit die Schrift erfüllt werde, und bei Wolf Biermann liest man die Verse: "Wahr ist, dass besagter Verräter seinen Chef/Auf dessen eigenen Wunsch hin hochgehn ließ./Er verriet den, der verraten werden wollte."

Bei Peter Maiwald erscheint Judas als lyrisches Ich, das zwei verschiedene Versionen zur Erhellung seiner Person angibt: Judas, der Geldgierige, und Judas, der politische Eiferer. Diese Versionen werden hier nebeneinandergestellt, um die Fraglichkeit der klassischen Lesarten und Stereotypen aufscheinen zu lassen.

Fast alle modernen Judas-Bearbeitungen in der Literatur stimmen in der Tendenz überein: Der Fall Judas bedarf der Revision, und am Ende kann nur ein Urteil stehen, wie verschieden es im Einzelfall auch begründet sein mag: Freispruch für Judas. Wenn aber Judas freigesprochen wird, müssen auch Jesus und seine Heilsbedeutung für die Menschheit noch einmal in einem neuen Licht betrachtet werden. Denn alle Judas-Geschichten weisen auf einen zurück, der im Schatten bleibt, aber stets präsent ist und um dessen Bedeutung für heute in all diesen Texten gerungen wird: auf Jesus selbst.

Judas taucht in der Musik auf bei Händel, Bach u.a, in der Malerei, in Fresken an Kirchen, z.B. am Naumburger Dom, Arenakapelle von Padua im Fresco von Giotto, in der Malerei: Otto Pankok: Der Verrat des Judas,

Urs Graf, Straßburg 1503. Verrat des Judas (Holzschnitt)

Anthonis van Dyck: Der Judaskuss um 1620,

Leonardo da Vinci:Das letzte Abendmahl.


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