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Nietzsches Kampf gegen das Christentum ist nicht nur eine akademische Angelegenheit

Dieser Kampf spiegelt auch seine eigene Daseinsproblematik. Die Lebensfrage, die den jungen Nietzsche schon früh grundlegend bewegte, ausgelöst nicht zuletzt durch den frühen Tod seines Bruders und seines Vaters und seiner eigenen gesundheitlichen Störungen, war die Frage: Wie ist angesichts des Schreckens des Lebens, seiner Grausamkeit und seiner über das einzelne Lebensschicksal hinwegziehenden Gleichgültigkeit eine Bejahung des Lebens überhaupt möglich? Nietzsche leidet an einer allgemeinen Lebensentwertung, für die er dann auch seine Erziehung im christlichen Glauben verantwortlich macht. Seinen Angriff auf das Christentum rechtfertigt er mit folgenden Worten(Nachlass):"Wenn ich dem Christentum den Krieg mache, so steht mir dies einzig deshalb zu, weil ich nie von dieser Seite aus Trübes oder Trauriges erlebt habe - umgekehrt die schätzenswertesten Menschen, die ich kenne, sind Christen ohne Falsch gewesen. Ich trage es den einzelnen am letzten nach, was das Verhängnis von Jahrtausenden ist. Meine Vorfahren selbst waren protestantische Geistliche: hätte ich nicht einen hohen und reinlichen Sinn von ihnen her mitbekommen, so wüsste ich nicht, woher mein Recht zum Kriege mit dem Christentum stammte. Meine Formel dafür: der Antichrist ist selbst die notwendige Logik in der Entwicklung eines echten Christen, in mir überwindet sich das Christentum selbst." Nietzsche hat also das ernsthafte und echte Christentum, das er zu allen Zeiten für möglich hielt, stets respektiert. Seine Feindschaft gegen das Christentum ist in Wirklichkeit untrennbar von seiner tatsächlichen Bindung an das Christentum als Anspruch. Er ist sich bewusst, erst der moralische Antrieb des Christentums hat die Grenzenlosigkeit des Wahrheitswillens hervorgerufen. Er will das Christentum keineswegs als Christentum preisgeben, nicht rückgängig machen und nicht aus ihm zurückfallen, er will es überwinden und überbieten mit Kräften, die das Christentum entwickelt hat. Darum fand auch nicht jeder Kampf gegen die Kirche seinen Beifall. Denn Nietzsche ist, wie Jaspers einmal sagte, „Gegner des Christentums aus christlichen Gründen.“


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