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Benachteiligungen trotz Gleichberechtigung

Den Grundstein für den Durchbruch in der Politik gegenüber den Juden legte die Aufklärung mit ihrem Konzept vom staatlichen Erziehungsauftrag. Zu ihren Trägern gehörte der preußische Kriegsrat und Archivar Christian Wilhelm Dohm mit seiner Denkschrift "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" (1781-1783). Die fürstliche Politik, schrieb Dohm, hindere die Juden "glücklichere und bessere Glieder der bürgerlichen Gesellschaft" zu werden. Er ist freilich nahezu der einzige geblieben, der an die Gleichstellung nicht die Erwartung oder gar Forderung nach Aufgabe der jüdischen Religion und Annahme des Christentums knüpfte. Hardenberg, seit 1810 Staatskanzler, wusste ebenfalls, dass Preußen bei seinem Sprung in eine neue Gesellschaftsordnung auf die Schrittmacherdienste von Juden angewiesen war, und konstatierte 1812: "Ich stimme keinem Gesetz zu, das nicht vier Wörter enthält: Gleiche Pflichten, gleiche Rechte". Trotz schöner Worte und guter Absichten, wurde die Zulassung von Juden zu Staatsämtern auf Anordnung des Königs ab 11.März

1812 von Fall zu Fall entschieden.

Anfang des 19.Jahrhunderts schien nach dem Feldzug Napoleons die verfassungsrechtliche Gleichstellung zunächst gesichert. Aus Dankbarkeit hatten sich zahlreiche Juden zum Dienst in den Befreiungsheeren gemeldet. Einer von ihnen, Meno Burg (l790-1853) ,wurde königlich-preußischer Major der Artillerie. Nicht wenige Juden wurden für ihre Tapferkeit dekoriert. Einer erhielt sogar den Pour-le-merite.

Der frische Hauch von Menschenfreundlichkeit und Toleranz, der von Kaiser Joseph II. und seinem 1782 erlassenen Toleranzedikt in Wien ausging, hatte wohl auch in den preußischen Landen Verständnis für die ungerechte und unwürdige Lage der

der Judenemanzipation der Juden geweckt. Die schon angedeutete Aufhebung des Porzellangesetzes sowie die gänzliche Abschaffung des Leibzolls waren die

erfreulichen Folgen. Vor allem wurden seit dem Edikt von 1812 sämtliche Juden als Staatsbürger anerkannt, mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten. Das Edikt verlieh ihnen ferner das Recht, nach eigener Entscheidung in der Stadt oder auf dem Land zu wohnen und akademische Schul-, Lehr- und Gemeindeämter zu bekleiden. Auch wenn die preußischen Juden weit mehr Rechte als die Juden aller anderen Staaten außerhalb des französischen Herrschaftsbereiches erhielten und das preußische Emanzipationsedikt von 1812 stets als ein Meilenstein in der allgemeinen Geschichte der Judenemanzipation betrachtet worden ist, so hörten die Benachteiligungen auch jetzt noch nicht auf. Die unentschiedene staatliche Haltung setzte sich in den folgenden Jahrzehnten fort. Hardenbergs fortschrittliche Judenpolitik wurde durch eine reaktionäre Bürokratie sogar einstweilen zu Fall gebracht. Als Napoleon zurückgedrängt war und die Reaktion auf dem Wiener Kongress ihre Triumphe feierte, musste er resigniert aufgeben. 1822 wurde das Recht zur Bekleidung eines Lehramtes für Juden wieder aufgehoben. Neun Jahre später folgte die Verordnung, ein Jude könne nicht

Bürgermeister werden,und andere Restriktionen. Viele Kriegsteilnehmer fanden nach der Beendigung des Krieges, entgegen den Versprechungen des Staates, aufgrund ihres jüdischen Religionsbekenntnisses keine Verwendung im öffentlichen Dienst, während jenen, die sich taufen ließen, sämtliche Türen offen standen. So wurden auf den Abfall vom jüdischen Glauben indirekt Prämien ausgesetzt.

Längst hatte unter dem Einfluss des Pietismus in Preußen die institutionalisierte Judenmission begonnen. Im 19 .Jahrhundert wurden an vielen Orten Missionsgesellschaften begründet, die auf die Unterstützung des Staates bauen konnten. Ihre Stellung kommt in einem Votum des Finanzministeriums vier Jahre nach dem Emanzipationsedikt von 1812 deutlich zum Ausdruck: "Es wäre zu wünschen, wir hätten keine Juden im Lande. Die wir einmal haben, müssen wir dulden, aber unablässig bemüht sein, sie möglichst unschädlich zu machen. Der Übertritt der Juden zur christlichen Religion muss erleichtert werden, und mit dem sind alle staatsbürgerlichen Rechte verknüpft. Solange der Jude aber Jude bleibt, kann er keine

Stellung im Staat einnehmen." Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) stellte Übertritte zur jüdischen Religion sogar unter Strafe, forderte aber, wie später sein Nachfolger, die

Konversion in die umgekehrte Richtung. Die unter dem Druck der 1848er Revolution verabschiedete preußische Verfassungsrevision kündigte zwar die volle Gleichberechtigung aller Religionsbekenntnisse an, änderte aber vorerst nichts an den verschiedenen Einschränkungen für die 125.000 Juden im Lande. Die volle staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden erfolgte erst 1869. Die Bestimmungen des Norddeutschen Bundes gingen dann in die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16.April 1871 ein.

Unter Bismarck, dem ebenfalls antijüdische Vorurteile nicht fremd waren, ließen Staat und Verwaltung nicht ab, sich gegen den Aufstieg von Juden in bestimmte hervorgehobene Positionen zu wehren. Dabei hatten 6000 Juden im deutsch-

französischen Krieg 1870/71 auf deutscher Seite gekämpft. Der Berliner Jude Ludwig Löwe hatte das Heer mit Präzisions-Gewehren ausgerüstet. 448 Juden fielen, 327 erhielten das Eiserne Kreuz. Die Haltung des Eisernen Kanzlers war wenig

eindeutig. Kaiser Wilhelm II. wiederum träumte davon, die Juden nach Palästina zurückzuführen. Obwohl beide mit Juden befreundet waren, so teilten sie doch die antisemitischen Vorurteile ihrer Zeit.


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