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Döblins Ansichten über die Menschen und das Schreiben

In seinen Büchern und Schriften setzte sich der Schriftsteller auch immer wieder mit philosophischen, theologischen und religiösen Fragen und anderen wichtigen geistigen Strömungen auseinander, um wie Faust zu "erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält" und um zu erfahren, "wie es allgemein, ganz allgemein um den Menschen steht."

"Die Menschen", befand Döblin, der ein Herz für die Armen, Benachteiligten, Irren und Kinder hatte, "sind eine wunderbare Gesellschaft; man kann eigentlich nur gut zu ihnen sein und sich seines Hochmuts schämen. Ich fand meine Kranken in ihren ärmlichen Stuben liegen; sie brachten mir auch ihre Stuben in mein Sprechzimmer mit. Ich sah ihre Verhältnisse, ihr Milieu; es ging alles ins Soziale, Ethische und Politische über." Der moderne Epiker Döblin schrieb oft in der Sprache des einfachen Mannes, im Jargon der Straße. Stets aber weist seine Prosa über das Alltägliche hinaus auf mythologische, literarische und biblische Bezügen, die häufig erst auf den zweiten Blick erkennbar sind. Denn sein Denken war schon früh vom alttestamentarischen Denken und von der Sehnsucht nach dem Metaphysischen geprägt, von dem Bedürfnis nach mystischer Erlösung. Die Begriffe Leiden, Opfer, Buße, Verheißung, Erwartung und Belohnung, die dem patriarchalischen Regiment als Beglaubigung und Rechtfertigung dienten, hatte er durch die Mutter als Kategorien einer Religion kennen gelernt. Schon 1919 ruft er aus: "Hin zu den Quellen, zum Sinn des Lebens, zur Religion. Das Zentrum finden. Sich reinigen, sich erkennen.

Zunächst knüpfte er vielfach an das Bild antiker und mittelalterlicher Epiker an. Ab 1950 mehren sich Verweise auf die Bibel, die Erhebung König Davids, des Sängers, zum Schutzpatron der Dichter. Doch die Literatur selbst hat er nie aus ihren weltlichen Bezügen gerissen. Die Versklavung der Literatur durch Ideologien, aber auch ihr Missbrauch als "Religionsersatz" haben ihn misstrauisch gegen allzu hohe Erwartungen gemacht.

Die Suche nach Wahrheit, in seinen Augen untrennbar mit der schriftstellerischen Arbeit verbunden, war für ihn gleichbedeutend mit der Suche nach seelischer Entwicklung. Alfred Döblin schrieb 1930 über sein Leben: "So ist meine ganze Schreiberei immer solche unbeendete Bemühung gewesen, ein Heranpirschen an Einsichten. Ich habe im Laufe der Jahre eine Anzahl Bücher geschrieben. Kein Buch ist fertig... ich habe immer eine Abneigung, einen Widerwillen gegen die Kunst gehabt, und meine geistige Tätigkeit dient anderen Dingen. Es handelt sich um einen ständigen Besinnungsakt. Es ist ein ununterbrochenes Gespräch an die Wahrheit heran, eine Auseinandersetzung und Herausarbeitung dessen, was ich sehe und erfahre, und eine Stellungnahme dazu, ein Ja- und ein Neinsagen" und an anderer Stelle heißt es:

"..dass ich zwar schon eine gute Weile lebe, aber eigentlich eben erst anfange zu existieren", und 1948 heißt es: "Wohl dem, der mehr hat als seine Augen, mehr als seine Logik und seine Mathematik. Glückselig der, der mühelos reifen konnte. Aber wohl auch uns, die wir Zeit unseres Lebens gefragt, gesucht und geirrt haben, wohl uns, wenn wir auch als Wrack noch in den Hafen einlaufen und am Fuß des Leuchtturms stehen oder liegen, den unser inneres Auge immer erblickt hatte."

Im Normalfall aber, wie er es auch an sich erfuhr, verläuft das Leben nicht idealtypisch, sondern voller Brüche, Leid und Enttäuschungen. Döblins Maxime war "dichter heran an das Leben".

Döblin, beständig auf der Suche nach intellektuellen Herausforderungen, interessierte sich nicht sonderlich für das rein Ästhetische, für eine l'art pour l'art , sondern für das Lebendige, für die großen Themen und die Details des Alltags. "Das Schreiben stellt nur eine Seite meiner Existenz dar. Das rein Ästhetische und Literarische widerte mich an." Die meisten Anreize fand er im Gespräch. 1930 meinte er über sich: "Ich bin ein Mensch, der im Zusammenhang mit ziemlich allen lebenden Autoren steht."


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