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Dreifache Isolierung
Mehr als zehn Jahre vor dem Machtantritt der Nazis hatte Wassermann, unter dem Eindruck der mit Kriegsende und Revolutionsversuchen einhergehenden antisemitischen Exzesse in Deutschland im Spätsommer 1920 mit der Niederschrift seiner Autobiographie "Mein Weg" begonnen, die er am 2.Dezember 1920 in Altaussee abschloss. Schon hier hat er eine dreifache Isolierung notiert, "als Literat, als Deutscher ohne gesellschaftliche Legitimation, als Jude ohne Zugehörigkeit". In diesem Werk schildert er, wie ihm die Doppelexistenz als Jude und Deutscher Schmerz und Qual bereitet hat. Wir sehen den Schriftsteller in der Gestalt des entwurzelten Juden, ohne Bindung an sein Judentum.
Lange hat er verzweifelt an der deutschen Überlieferung fest gehalten. "Sich fremd unter Fremden im fremden Land zu fühlen, das hat der aufrichtige und seiner selbst gewisse Jude natürlich nie verlernt, denn mit Liebe ward ihm nichts gewährt. Einen Rechtstitel auf seinen Besitz konnte er, durfte er niemals überzeugend nachweisen. Um so inniger, heimlicher, verhaltener ist oft sein Verhältnis zu Land und Landschaft. Es hat Juden gegeben, die aus Scham über die Liebe in einem Wahnsinn des Herzens zu Leugnern und Verrätern wurden", schreibt er in seinem Essay "Das Los der Juden".
Wassermann verstand sich weder als deutschen Juden noch als jüdischen Deutschen. Er wollte beides zugleich und ineins sein.
Von der deutschen Seite, der seine ganze Liebe und Verehrung gehörte, hat er indessen viel Ablehnung und wenig Verständnis erfahren, und so bekennt er bitter: "Es ist vergeblich, das Volk der Dichter und Denker im Namen seiner Dichter und Denker zu beschwören. Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt wie Aas die Würmer, tausend neue zutage... Es ist vergeblich, für sie zu leben und für sie zu sterben. Sie sagen: Er ist ein Jude."
Das Misstrauen seiner deutschen Landsleute, das sich davon nährte, dass er ein Jude war, hat gravierend sein Leben bestimmt. So ist es sicher kein Wunder, dass Moritz Heimann, seit Ende 1895 Lektor im S.Fischer-Verlag, in den "Juden von Zirndorf" den Ausdruck heimlicher Sehnsucht eines Juden entdeckte, der "nicht in scheuen Kompromissen und nicht im Zionismus Beschwichtigungen" sucht.
Tief bestürzt war Wassermann nicht zuletzt auch über das ständige Aufflammen des Antisemitismus, gegen den er einen lebenslangen literarischen Feldzug führt. Erste Anfeindungen hatte er schon in der Kindheit und Jugend erlebt, Anfeindungen, die seinem Judentum galten: "Das war alltäglich", und immer wieder fragt er sich, was es eigentlich mit dem berühmten Rassenhass auf sich habe?
Auf der andren Seite leistete er aber auch Widerstand gegen einen nationalen Zusammenschluss der Juden außerhalb Europas. Seine Furcht vor dem Ende ihrer "weltgeschichtlichen Mission" nach einer Staatsgründung äußert er in seinem Essay "Die psychologische Situation des Judentums." Als er nach Wien kam, erlebte er die Entstehung des Zionismus hautnah mit, dem er sich allerdings verschloss.
"Ich bin ganz und gar kein Zionist", schreibt er an Georg Brandes am 21.Dezember 1901, "und stehe diesem thörichten Treiben vollständig, persönlich und geistig, fern."
"Man macht ja immer wieder die niederschlagende Erfahrung, dass jede spezifische Nationalempfindung, um viel mehr noch jede nationalistische, durchaus keine Kritik oder reine Kennzeichnung durch Gestalt verträgt, sondern lediglich lammfromme Idealisierung und servile Lobhudelei. Das ist bei Juden nicht anders als bei den Deutschen oder Franzosen."
Mit der Gemeinschaft der Juden wiederum fühlte er ebenfalls keinerlei tiefen Zusammenhang und identifizierte sich daher nicht mit seiner jüdischen Herkunft. Zudem muss man bedenken, dass zur Zeit von Jakobs Geburt die Emanzipation längst begonnen hatte, und dass sein Vaterhaus den jüdischen Kultus nur noch von ferne kannte, das war im zwanzigsten Jahrhundert keine Seltenheit mehr. Auch die jüdische Religion bedeutete ihm nichts. Denn Die so wie er sie kennen gelernt hatte, erschien sie ihm eifernd und seelenlos - "von einem seelenlosen Manne seelenlos gelehrt" -, der Ritus ein leeres Geplapper, die Judenschule eine hohle Pflicht. Der jüdische Gott war ihm erschreckend nichtssagend."Genau betrachtet war man Jude nur dem Namen nach.." und der jüdische Gott nur ein Schemen.
Wassermann vermochte daher keine Bindungen zum jüdischen Glauben zu entwickeln. Stattdessen rebellierte er gegen seine erzwungene Aufnahme in die Gemeinde Hiobs. Er wollte seine Rechtfertigung als Mensch, als deutscher Dichter und nicht, wie er sich ausdrückte, für ein Verbrechen verurteilt werden, das er nie begangen hatte. Das Leiden an seinem Judentum rührte mithin aus der passiv erfahrenen und von außen kommenden Zugehörigkeit zu ihm, nicht aus der Wahl seines Herzens. Wassermann hat die Probleme und Sackgassen des Judentums scharf kritisiert und mit ihnen gelitten. Nicht von ungefähr warf ihm Thomas Mann sein jüdisches Trauma vor. Zudem war Wassermann offensichtlich nicht ganz frei von jüdischem Selbsthass wie die folgende Passage zeigt: "Leider steht es so, dass der Jude heute vogelfrei ist. Wenn auch nicht im juristischen Sinne, so doch im Gefühl des Volkes. Leider steht es so, dass man den Beauftragten wie den freiwilligen Hetzern einen Grund nicht absprechen kann. Bei allem Bildersturm, allem Paroxysmus oder sozialen Forderung waren Juden, sind Juden in der vordersten Linie. Wo das Unbedingte verlangt, wo reiner Tisch gemacht wurde, wo der staatliche Erneuerungsgedanke mit frenetischem Ernst in Tat umgesetzt werden sollte, waren Juden, sind Juden die Führer. Juden sind die Jakobiner der Epoche", sie säkularisierten den jüdischen Messianismus und begriffen sich als idealistische Heilsbringer.
Er fand zwar viele Freunde unter den Juden, doch bangte ihm vor dem harten, richtermäßigen politischen Radikalismus aus jüdischer Tradition, wo die Gesinnung den Sinn zerstöre und die verschlingenden Phrase produziere.
Seine Vorfahren, hob Wassermann einmal hervor, hätten seit mindestens fünfhundert Jahren im fränkischen Land gesessen und dass es ihnen und ihresgleichen nicht gelungen sei, "sich dem Körper der Nation tiefer zu vermischen", betrachte er "nicht ausschließlich als der Juden Schuld" - im Grunde ein demütiges Wort, so kommentierte Hilde Spiel diese Bemerkung.
Wassermann lehnte sowohl extreme Assimilation als ich auch den Zionismus entschieden ab. "Ich bin im Innern deutscher als ich selber will." Und genau dies machte es Wassermann unmöglich, die vielleicht bequemeren Wege einzuschlagen, den der Assimilation oder den des Zionismus.
Der Schriftsteller kritisierte Heine, der sein Judentum für ein Linsengericht verkaufte und dann sein bitteres Gift über Deutschland ausgoss. Aber auch Wassermann liebte und hasste das deutsche Volk gleichermaßen, und wie Heine war er ein Fremder in seiner Mitte. Er war von der Idee einer Konversion abgestoßen und erlitt doch das schicksalhafte Erbe seiner Väter. Wie bei Kafka sind seine Wurzeln in den Spannungen und Konflikten zu sehen, die die jüdische Existenz bestimmen. Allerdings thematisiert Wassermann seine Fragen nicht auf jener hoch metaphysischen Ebene, die für Kafka so bezeichnend ist, vielmehr ist in seinen Werken die individuelle Situation fest in der sozialen verankert.
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