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Neubeginn nach 1945

Nur wenige Brandenburger jüdischen Glaubens hatten den Holocaust überlebt und noch weniger waren in ihre alte Heimat zurückkehrt. Einer von ihnen war Theodor Goldstein. Die meisten starben während der DDR-Zeit oder wanderten aus, ohne dass neue nachgekommen wären. Als Goldstein allein als aktiver Jude in Potsdam übrig blieb, wurde er bis zum Zusammenbruch des Ostblocks von der Schweriner Gemeinde betreut.

Ein hoffnungsvolles Zeichen wurde unmittelbar nach der "Wende" gesetzt, mit der Gründung der Jüdischen Gemeinde Land Brandenburg in Potsdam am 21.März 1991. Die Zuwanderung jüdischer Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion hatte die Neugründung möglich gemacht. Dieser Gemeinde schlossen sich damals nur zwei jüdische Bürger aus Potsdam und Umgebung an. Heute besteht die Gemeinde ausschließlich aus russischen Einwanderern. Seit 1996 ist die Gemeinde nach Umstrukturierungsmaßnahmen und der Gründung neuer jüdischer Gemeinden im Land auch Landesverband für das märkische Bundesland Brandenburg. Denn inzwischen wurden im Land Brandenburg fünf städtische Gemeinden ins Leben gerufen: in Frankfurt an der Oder, der Stadt Brandenburg, in Cottbus, in Barnim und in Potsdam, die alle dem Landesverband angehören, aber, nach ihrer Satzung, eigenständig handeln und ihren eigenen Vorstand und Vorsitzenden haben. Ende des Jahres 1999 zählte der Landesverband des Landes Brandenburg etwa 660 Mitglieder, die allesamt aus der ehemaligen Sowjetunion zugewandert sind und von denen bisher nur wenige durch die von der Landeshauptstadt Potsdam und der Landesregierung unterstützten Initiative "Arbeit statt Sozialhilfe" eine Beschäftigung gefunden haben.

Die 1964 in St. Petersburg geborene Irina Knochenhauer - sie kam 1983 in die damalige DDR - bemüht sich seit 1997 als Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinde Land Brandenburg um die Integration der jüdischen Zuwanderer und den Aufbau

jüdischer Gemeindestrukturen. Darüber hinaus engagiert sie sich im Direktorium des Zentralrats und ist seit 1999 auch stellvertretendes (nicht stimmberechtigtes) Vorstandsmitglied der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Im Dezember 1999 wurde sie ferner in das Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt. Zudem wurde ihr vom Präsidenten des Zentralrats das Dezernat "Integration" anvertraut. "Für mich persönlich", sagt Irina Knochenhauer, "ist dies eine große Ehre und Verpflichtung zugleich, zumal ich die erste Kandidatin bin, die aus Ostdeutschland und als Vertreterin der jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in diese Funktion gewählt wurde."

Vorsitzender des Landesverbandes ist Alexander Kogan. Für ihn war die Anfangszeit besonders schwierig, da sich viele der jüdischen Kontingentflüchtlinge zunächst nur für kurze Zeit in Brandenburg aufgehalten haben. Landesrabbiner ist der in Potsdam lebende orthodoxe Rabbiner Nahum Presman, der 1996 mit seiner Familie aus Israel gekommen ist. Presman gehört der Chabad Lubavitcher Organisation an, die assimilierte und säkularisierte Juden an ein traditionell verstandenes Judentum heranführen will. Für die Jüdischen Gemeinden, in der ausschließlich russischsprachige Mitglieder integriert sind, war es nicht leicht, einen Rabbiner zu finden, der neben Hebräisch die russische und die deutsche Sprache beherrscht. Den Schabbat beging

man in Potsdam lange Zeit in einem Wohnheim. Als die Räume nicht mehr ausreichten, beschloss man vor einigen Jahren, aus der Ruine einer evangelischen Kirche ein Gemeindezentrum zu errichten. Der Umbau der einst christlichen Kirche in eine Synagoge, meinte damals Superintendent Hans-Ulrich Schulz, sei steingewordene Theologie und "sichtbares Zeichen für unsere Einsicht, dass die Kirche ihre tiefsten Wurzeln im Gottesbund mit dem Volk Israel hat." Das klingt gut und war auch sicherlicher so gemeint. Der Plan wurde inzwischen aufgegeben. Wäre ja zu schön gewesen, dieses sichtbare Zeichen der Versöhnung. Jetzt plant man den Bau einer Synagoge am alten traditionellen Standort, Platz der Einheit-ehemals Wilhelmsplatz. Gegenwärtig jedoch werden Schabbat und alle Fest- und Feiertage in einem ehemaligen Schulgebäude begangen. Doch gibt es seit 1998 ein neues Gemeindezentrum in Neu-Fahrland am Ufer des Lehnitzsees, nur wenige Kilometer von Potsdam entfernt. Es hat ausreichend Platz für den Vorstand, den Rabbiner und für die Verwaltung der jüdischen Gemeinde. Täglich von 12 bis 14 Uhr bietet die Gemeinde hier eine Sprechstunde an. Wöchentlich wird in den Räumen Unterricht in Religion, jüdischer Geschichte und Tradition erteilt.

Stolz ist man in der Gemeinde auf die Herausgabe einer eigenen Zeitung: Aleph-Beth. Sie erscheint in regelmäßigen Abständen in russischer Sprache in einer Auflagenhöhe von fünftausend Stück und ist über die Landesgrenzen hinaus so bekannt, dass andere Gemeinden dort schon eigene Seiten einrichten.

Irina Knochenhauer betont die gute Zusammenarbeit mit dem Landesamt und anderen Institutionen. Man organisiert zum Beispiel gemeinsam mit der Fachhochschule Ausstellungen und pflegt engen Kontakt mit der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Auch mit der Universität Potsdam werden oft gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt. Außerdem haben Wissenschaftler mehrerer deutscher Universitäten an der Universität Potsdam anlässlich des 50.Jahrestages der Wannsee-Konferenz im Jahre 1992 das Moses Mendelssohn-Zentrum für Jüdische Studien ins Leben gerufen. Allerdings fürchtet das Zentrum angesichts drohender Mittelkürzungen gegenwärtig um seine Existenz. Es wird daher erwogen, das Zentrum mit dem Potsdamer Einstein-Forum zusammenzulegen. Im Laufe des Jahres 2000 soll nun auch ein Staatsvertrag für die jüdischen Gemeinden in Brandenburg abgeschlossen werden. Das wird auch höchste Zeit. Denn der Etat der Gemeinde` ist klein. Gegenwärtig zahlt das Land 230.000 Mark im Jahr. Hinzu kommen 300.000 Mark für die Pflege der jüdischen Friedhöfe in Brandenburg. Alles erfreuliche Aussichten, die allerdings hin und wieder getrübt werden, weil die alte Janusköpfigkeit, die die Geschichte des Landes Brandenburg von Anfang an begleitet hat, mitunter ihre gar nicht so fröhlichen, eher recht bedenklichen Urständ feiert, zum Beispiel als sich im Sommer 1997 das Dorf Gollwitz mit 405 Einwohnern, unweit von Berlin, weigerte, fünfzig jüdischen Zuwanderern aus Russland Unterkunft zu gewähren. Ein halbes Jahr später wurde ein Anschlag auf ein Ausländerheim verübt, in dem die Hälfte der dort untergebrachten Menschen Juden waren. Auch Friedhofsschändungen kommen, wie eingangs angedeutet, leider immer wieder vor. Aber vielleicht gelingt es, der jüdischen Gemeinde zusammen mit der Universität Potsdam Vorurteile gegenüber Juden im einzelnen und Fremden im allgemeinen abzubauen und das Miteinander von Juden und Nichtjuden wenn nicht konfliktloser, so doch gewaltloser und friedlicher zu gestalten.


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