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Wer war Luise Rinser?

Widersprüchliches Bild in der Öffentlichkeit

Wer war Luise Rinser? Eine geborene Erzählerin, die Grande Dame der bundesdeutschen Nachkriegsliteratur, sagen die einen, eine Plaudertasche und feministische Krawallschachtel mit dubioser Vorliebe für Nordkorea, die anderen.

Albert von Schirnding, Kritiker bei der "Süddeutschen Zeitung", sieht in ihr eine "Jahrhundert-Autorin", eine bedeutende literarische Figur und eine Frau von großem Format, Tilmann Krause von der Tageszeitung "Die Welt" wiederum betrachtet Luise Rinser als "große starke Persönlichkeit von einer spirituell überglänzten Erotik". Engagierten Christen wurde sie zum Vorbild, Abgeklärten dagegen zum öffentlichen Ärgernis.

Im Gegensatz zu ihren Lesern, die Luise Rinser von Anfang an unverbrüchlich die Treue hielten, wahrte die Literaturkritik zu der von Korea bis Kanada geehrten Repräsentantin unserer Literatur skeptischen Abstand und nannte sie wenig schmeichelhaft eine Erbauungs- und Frauenschriftstellerin, die in ihren Büchern für Zwischentöne wenig Raum und für Ironie und literarische Experimente überhaupt keinen Platz gehabt habe.

Für einige Kritiker war sie "halb Nonne, halb Barrikadenweib", weil sie angeblich den Beichtstuhl am liebsten neben der Barrikade installiert hätte, und empfanden ihre Offenheit und ihre erotischen Geständnisse als Exhibitionismus. Sie warfen ihr Geschwätzigkeit, Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit vor sowie einen Hang zum moralinhaltigen Narzissmus. Nicht wenige misstrauten ihren hochgespannten Gefühlen, ihrem Pathos und moralischem Impetus und sagten ihr Bigotterie nach oder rügten den hohen Ton ihrer Romane, Tagebücher und besonders ihrer Selbstdeutung "Den Wolf umarmen".

Christian Ferber gab seiner Rezension des Rinser-Buches "Silberschuld" die Überschrift "Ach Luise, kein Mädchen ist wie diese" und befand, dass das Buch eine Art verdünnter Hermann Hesse für den kleinen Mann sei. Spöttisch beginnt auch Frank Schirrmacher in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" seine Rezension zu Rinsers Buch "Wir Heimatlosen": "Luise Rinser, die erfolgreichste Schriftstellerin der Nachkriegsliteratur, ist der beste Mensch der Welt". - "...wer sich über die Reaktionsmuster all der anderen guten Menschen von Walter Jens bis Pastor Albertz orientieren möchte, der muss Luise Rinser lesen." Diesen nach außen hin wohlwollenden, aber im Grunde herablassenden, ja verächtlichen Ton behält der Feuilleton-Chef der "Frankfurter Allgemeinen" bis zum Ende seines Verrisses bei und kommt zu dem Resümee, dass ihre "Tagebücher ein instruktives, flottes Dokument des Wahnsinns" seien, die sie zu allem Überfluss Eugen Drewermann gewidmet habe.

Ich habe sie nicht gebraucht", sagte Luise Rinser, die seit Kriegsende bis heute präsent geblieben ist, einmal über die Kritiker. In der Tat ist sie ihren eigenen Weg gegangen ohne die Kritikergarde und auch ohne die Gruppe 47, mit der sie nicht viel im Sinne gehabt hatte, vielleicht weil sie, vermutet Michael Kleeberg, älter und erfahrener war "als die Ex-Gefreiten rund um Hans-Werner Richter.

Wie populär jedoch Luise Rinser selbst über die Grenzen des Landes hinaus war, zeigt eine kleine Begebenheit, von der Rinser 1962 in einem Brief an den Theologen Karl Rahner erzählt. Im Zug, so schreibt sie, sei sie mit zwei Italienern und einem nach Schweden ausgewanderten Deutschen ins Gespräch gekommen. "Nach einer Weile", so fährt sie fort, "sprachen wir von deutscher und italienischer Literatur, und der Deutsch-Schwede sagte, die moderne deutsche Literatur sei ihm zu nihilistisch, und es gäbe nur eine, die er gelten lasse und ob ich von ihr etwas gelesen habe - nämlich von Luise Rinser. Ich zog schweigend meinen Pass und reichte ihn ihm.- Sie können sich den Knall-Effekt vorstellen."

Überaus widersprüchlich war ihr Bild auch in der übrigen Öffentlichkeit. Da sie häufig Stellung zu aktuellen politischen Themen bezog, wobei sie sich selbst und andere nicht schonte, schlug ihr, der Prophetin einer radikalen franziskanischen Liebe ungewöhnlich viel Hass entgegen.


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