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Schiller und das Judentum

Das Thema "Goethe und die Juden" ist bisher sehr viel häufiger behandelt worden als das Thema "Schiller und die Juden". Immerhin sind die Zeugnisse hierfür bei Goethe weitaus ergiebiger als bei Schiller. Denn Goethe hat sich zum Judentum im allgemeinen und zu Jüdischem im Besonderen (zu Personen, Gebräuchen, Ereignissen) öfter geäußert als Schiller. Auch haben im Leben Schillers Juden keine so herausragenden und unterschiedlichen Rollen gespielt wie mitunter in Goethes Leben.

Juden im Leben Schillers

Vermutlich wurde Schiller in seiner Kindheit und Jugend mit dem Problem des Judentums nie ernsthaft konfrontiert. In Württemberg, wo er aufwuchs, begegneten ihm kaum antijüdische Zeugnisse "aus öffentlicher Anstalt". Bei seiner christlichen Erziehung durch fromme Eltern waren die Hilfsmittel der religiösen Intoleranz und des Fanatismus allem Anschein nach nicht vonnöten. Offensichtlich war sich der schwäbisch pietistische Protestantismus selbst genug. Von dieser Warte aus verdiente für Schiller das Judentum sicherlich eher ein historisches und philosophisches Interesse als ein theologisches. Dafür mag, wie Norbert Oellers in seinem Aufsatz über "Goethe und Schiller in ihrem Verhältnis zum Judentum" deutlich macht, eine beiläufige, nur zufällig überlieferte Begebenheit sprechen: Johann Kaspar Schiller, der für seine Angehörigen treu sorgende Vater des Dichters, hatte einmal, als ihn die wirtschaftliche Lage seines Schwiegersohns Reinwald bedrückte, die Idee, sein Sohn Friedrich könne Reinwald dienlich sein, indem er ihm wissenschaftliche Kärrnerarbeit abkaufte. Denn "wir haben meines Wissens", so schrieb der Vater dem Sohn am 21.Februar 1792, "noch keine vollständige zusammenhängende Geschichte des jüdischen Volks seit ihrer Zerstreuung in die Welt. Mich dünkt, es wär dies ein wichtiger und ebenso würdiger Gegenstand der Beschäftigung eines Gelehrten, welcher aber selbst gelehrte Juden an der Hand haben müsste, die ihm die Materialien lüfern könnten. Nebenbei würde eine geschickte Aufarbeitung viel Interesse für das Christenthum haben, und in diesem Betracht wäre es freilich mehr die Arbeit eines Theologen, und doch müsste die philosophische Bearbeitung mehr Beifall finden! Könnte nicht etwa da Reinwald die Materialien sammeln, seine Bibliothek dabei benützen, und wenigstens soviel darin vorarbeiten, daß es, wenn der liebe Fritz Zeit hätte daran zu gehen, nicht mehr so viel Mühe und Denken und Nachschlagen kostete?" Die Antwort Schillers auf diesen Vorschlag ist nicht überliefert. Doch ist anzunehmen, meint Oellers, dass er ihn gutgeheißen hätte, wenn seine Verwirklichung ihm die eigene wirtschaftliche Situation hätte nennenswert verbessern helfen. Er wäre anders, aber nicht lebhafter Partei gewesen, als bei seinen historischen Arbeiten über den Abfall der Niederlande von Spanien und über den dreißigjährigen Krieg. Zumindest aber stützt die zitierte Äußerung des Vaters die Annahme, dass im Elternhaus keine dezidierte Abneigung gegen das Judentum bestand und dass folglich für Gedanken an mögliche Judenverfolgungen aus religiösen oder anderen Gründen kein Platz gewesen war.

Zudem dürften Schiller in den kleinen Dörfern und Städten, in denen er seine Kindheit zubrachte, keine Juden begegnet sein. In Stuttgart indes, wo um 1780, als Schiller dort als Regimentsmedicus wirkte, viele Juden lebten, war die Erinnerung an Jud Süß (Süß Oppenheimer), den Finanzagenten des Herzogs Karl Alexander(1733-1737), der durch gewagte Geldgeschäfte und einen aufwändigen Lebenswandel von sich reden gemacht hatte und der nach dem Tode des Herzogs nach einem öffentlichen Schauprozess hingerichtet worden war, noch sehr lebendig. Allgemein herrschte damals unter der nichtjüdischen Bevölkerung die Ansicht vor, dass "durch den Hass gegen einen Juden, der das Land ruiniert, sich schändliche Übergriffe erlaubt hatte und vor dem Morde nicht zurückgeschreckt war, (..)die Abneigung gegen die Juden überhaupt erzeugt oder sicherlich genährt" worden sei.

Später lernte Schiller in Leipzig einen jüdischen Geldverleiher kennen, von dem er sich Geld borgte und mit dem er keinerlei unangenehme Erfahrungen machte, obwohl er ihm das Geld nicht rechtzeitig zurückgeben konnte.

Der jüdische Buchhändler Salomo Michaelis in Strelitz, Hofbuchhändler des Herzogs von Mecklenburg-Strelitz, lieh ihm ebenfalls Geld, Schiller nannte ihn gelegentlich "Judenbuchhändler" oder einfach "der Jude". Dies war indes keineswegs verächtlich gemeint, war er doch im allgemeinen mit ihm zufrieden, zumal er Michaelis am 15.August 1794 - durch die Vermittlung von Wilhelm von Humboldt - für einen "Musen-Almanach für das Jahr 1796" hatte gewinnen können.

Als Schiller mit seiner Familie 1793 seine Eltern in Württemberg besuchte, engagierte er sich verlegerisch für den Vater, der eine kleine Schrift über Techniken der Baumpflege verfasst hatte, indem er ihm die Verbindung zu dem Neustrelitzer Verleger Salomo Michaelis vermittelte. Diese Schrift erschien 1795 unter dem Titel "Die Baumzucht im Großen".

Auch seinem Jugendfreund Hoven empfahl Schiller den Buchhändler und schrieb ihm: "Du musst Dich nicht daran stoßen, wenn ich Dir vielleicht, einen Juden (einen solchen nämlich, der wirklich beschnitten ist) zum Verleger aussuche. Es ist wirklich in Strelitz ein solcher als Buchhändler aufgestanden, und er hat von mir einen Musen-Almanach im Verlag. Die sächsischen Juden haben viel Cultur und bedeuten etwas. Dieser, der sich Michaelis nennt, ist ein junger unternehmender Mann, der Kenntnisse besitzt, in guten Verbindungen steht, und bey dem Herzog von Mecklenburg viel Credit hat. Er hat auch eine Schrift meines Vaters über die Baumzucht im Verlag, welche hier gedruckt wird."

Schiller nahm also an, meint Norbert Oellers, er müsse Hovens Vorurteile gegen Juden niederhalten und gab dabei zu erkennen, dass er mit der Judenproblematik einigermaßen vertraut war. "Die Juden", so sagte Schiller, "assimilierten sich durch 'Kultur'."

Als Michaelis am 21.Mai 1795 Schiller in Jena besuchte, wurde das gute Einvernehmen bestätigt und gefestigt. Schiller schickte den Verleger am selben Tag zu Goethe, damit er mit diesem und Meyer überlege, welche Goetheschen Beiträge für den Almanach "Stoff zu Vignetten geben" könnten. Als Michaelis jedoch wenig später durch die Treulosigkeit eines Freundes, der Geld unterschlagen hatte, in Schwierigkeiten geriet und die Abmachungen nicht erfüllen konnte, war Schiller schnell mit Formulierungen zur Stelle wie "der elende Mensch, der Michaelis", "Michaelis Armseligkeit", "ich bin dem elendsten Tropf von Buchhändler in die Hände gefallen". Wahrscheinlich hatte Schillers Heftigkeit auch mit Selbstkritik zu tun. Offensichtlich machte er sich selbst Vorwürfe, dass er einem Juden so habe vertrauen können. Seinem Ärger verlieh er beredt Ausdruck, den man jedoch nicht unbedingt als antisemitischen Ausfall werten kann, obwohl er sich so interpretieren und verwenden lässt - zumindest von Judenfeinden und Schillergegnern. Der unzuverlässige Karl August Böttiger will sogar gehört haben, dass Schiller sagte, die "fortdauernde Bedrückung" der Juden sei "eine notwendige Folge ihres unvertilgbaren Charakters."

Selbst nachdem sich Michaelis hatte rehabilitieren können, entzog ihm Schiller auf Anraten Humboldts - denn ihm klebe "jetzt das Andenken an diesen unangenehmen Vorfall wie ein böses Schicksal an" - den Auftrag für weitere Almanache. Michaelis versuchte noch mit zwei wahrhaft bewegenden Briefen, von Schiller ein Zeichen der Sympathie zu erlangen - jedoch vergeblich, die Briefe blieben unbeantwortet.

Michaelis war im übrigen der einzige jüdische Verleger, den Schiller gehabt hat. Aber auch mit dem jüdischen Kaufmann und Gelehrten David Friedlaender stand Schiller in einer geschäftlichen Verbindung.

In Weimar, wo Schiller den letzten und wichtigsten Abschnitt seines Daseins verbrachte, gab es überdies nur wenige Juden, wie etwa die Familien Gabriel Ullmann und Jacob Elkan, der sogar in Goethes Gedicht "Auf Miedings Tod" vorkommt. Vermutlich war Elkan ein Händler mit alten Kleidern und auch Schillers Lieferant. Bei dem "Juden Elkan" bestellte Schiller, wie er an Wilhelm von Humboldt am 21.August 1795 schrieb, Stoffe. Doch hielten sich seine Weimarer Kontakte zu Juden in Grenzen.

An der von Schiller begründeten und von Goethe beförderten, ebenso anspruchsvollen wie kurzlebigen Zeitschrift "Horen" waren zudem zwei Juden als Mitarbeiter tätig: die beiden Kantianer Lazarus Bendavid und Salomon Maimon, die zeitweise dem Kreis der Berliner Aufklärer angehörten und die Schiller als Mitarbeiter seiner Zeitschrift ebenso willkommen waren wie christliche Dichter, wie Boie, Herder, Kosegarten und andere. Auch ein dritter jüdischer Aufklärer, Markus Herz - er war portugiesischer Herkunft -, wird als Arzt Wilhelm von Humboldts bei Schiller gelegentlich erwähnt. Allerdings hatte Schiller in seiner Eigenschaft als Dramatiker geringere Beziehungen zu Juden als in seiner Eigenschaft als Schriftsteller. Unter den Theaterleuten, mit denen er zu tun hatte, befand sich nur ein Jude: Jakob Herzfeld, Theaterdirektor in Hamburg, dem er seine klassischen Dramen verkaufte.

Henriette Herz, Ehefrau von Markus Herz, lernte Schiller bei seinem Berliner Aufenthalt 1804 kennen. Henriette Herz hatte Schillers Bücher schon vor dem persönlichen Kennenlernen gelesen und war von ihm sehr angetan. Laut Rüdiger Safranski machte Schiller auf Henriette Herz "einen noch angenehmeren Eindruck als Goethe."

Von Rahel Varnhagen indes wurde Schiller nicht eingeladen. Sie stellte Goethe über alles und soll Schiller kühl entgegengetreten sein. Allerdings schreibt sie fünf Jahre nach Schillers Aufenthalt in Berlin: "Schillers Wallenstein liegt seit drei Tagen auf meinem Tisch, und was auf dem Tisch liegt, liest man am Ende doch: wie paßt jedes Wort, die Tragödie in der Tragödie! Wie versteh' ich jetzt Welthändel und Dichter erst!"

Dorothea Veit geborene Mendelssohn gehörte offensichtlich ebenfalls der antischillerschen Gesinnung an, die in den damaligen romantischen Zirkeln zur Mode geworden war. Ein paar Äußerungen aus ihrem Tagebuch bekunden, dass sie Schiller Hochmut und Grobheit zugleich zuschrieb, aber sie hat auch gesagt: "Ich weiß wohl, es gibt einige Leute, die behaupten, Schiller wäre kein Dichter! So lange ich aber lebe, soll sich gewiß niemand unterstehen, es zu sagen."

Dass seine Freunde Körner und vor allem Wilhelm von Humboldt mit Juden freundschaftlich verbunden waren, konnte dem Dichter nicht verborgen geblieben sein. (Humboldt war außerdem einer der ersten, der um 1809, also vier Jahre nach Schillers Tod, die rechtliche Gleichstellung der Juden forderte und für deren uneingeschränkte Emanzipation eintrat.) Schiller, so viel ist wohl sicher, zollte nie einem offenen Antisemitismus Beifall und kritisierte nie christliche 'Parteigänger' des Judentums. Ja, er tat so, als hätten Nichtjuden keine Probleme mit Juden, als habe es keine Hetze, Unterdrückung und Pogrome bis in seine Gegenwart hinein gegeben. Dieser Realität entzog er sich weitgehend wie sein Dichterfreund Goethe.

Norbert Oellers findet es in seinem Aufsatz "Goethe und Schiller in ihrem Verhältnis zum Judentum" (Tübingen 1988) doch recht bedenklich, "dass Schiller den speziellen Nöten der Juden keine Aufmerksamkeit geschenkt hat" und fragt: "Sollte er nicht gesehen haben, dass es die gab?"

Doch antijüdische Klischees und Redensarten waren beiden nicht fremd. Als Frau von Wolzogen Schiller Anfang Februar 1784 mahnte, seine Schulden bei ihr zu bezahlen, antwortete er: "Wenn es möglich ist, daß Israel biß Ostern wartet so ist alles gut - wo nicht, so mus ich Geld auf Judenzins aufnehmen, um Sie nicht stecken zu laßen. . Proponieren Sie es Israel, ich gebe mein Ehrenwort auf Ostern 8 Carolin zu schiken.."

Als geschichtskundiger und philosophierender Schriftsteller kannte Schiller durchaus die Schrift von Moses Mendelssohn "Über das Erhabene und Naive in den Schönen Wissenschaften". Unverkennbar ist er von seinen Briefen "Über die Empfindungen" und dessen "Rhapsodie, oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen" beeinflusst worden, wenn auch nicht so stark wie von Kant.

Schon in Bauerbach hat er die philosophischen und ästhetischen Schriften Moses Mendelssohns studiert. Er zählte Moses Mendelssohn durchaus zu den großen Denkern, was ihn freilich nicht davon abhielt, zu behaupten, dass Mendelssohn zu jenen gehöre, "die das Instrument ihres Verstandes verstimmt haben, dass es keinen rechten Laut mehr von sich gibt." Trotz mancher Ausdrücke, die nicht immer ganz frei von Spott und Missachtung sind, hat Schiller manches aus den Anschauungen des jüdischen Weltweisen geschöpft, besonders die Theorie des Naiven. Dagegen wird der holländische Philosoph Baruch de Spinoza (1632-1677) von ihm kaum erwähnt, obwohl Schillers philosophische Ideen auch durch dessen pantheistische Vorstellungen mitbeeinflusst worden sind.

Ein kleines, vermutlich 1781 entstandenes satirisches Gedicht von Schiller ist jedoch mit "Spinoza" betitelt und lautet: "Hier liegt ein Eichbaum umgerissen,/Sein Wipfel tät die Wolken küssen,/Er liegt am Grund-warum?/Die Bauern hatten, hör ich reden,/Sein schönes Holz zum Baun vonnöten,/Und rissen ihn deswegen um." Mit diesen Versen richtete sich Schiller gegen verflachende Interpretationen der pantheistischen Lehren Spinozas und spielte dabei indirekt den untadeligen Lebenswandel des jüdischen Denkers gegen den von der jüdischen und christlichen Hierarchie erhobenen Atheismus-Vorwurf aus.

Doch im großen und ganzen unterhielt Schiller im Gegensatz zu Lessing keine direkten Freundschaften mit Juden und wurde, anders als Goethe, von ihnen nicht aufgesucht. Er trat auch nicht öffentlich für die kulturelle oder politische Emanzipation der Juden ein, wohl aber für die Gleichberechtigung und Emanzipation aller Menschen. Lessings "Nathan der Weise" hat Schiller ebenso geschätzt wie Goethe. Immerhin hat er das Stück für Goethes Theater bearbeitet, so dass es 1801 in Weimar erfolgreich aufgeführt werden konnte. Seitdem ist es eines der meistgespielten klassischen Theaterstücke. Als der Meininger Hofprediger Georg Pfranger in Lessings, wie er meinte, "tendenziösem Drama" Nathan den Weisen "eine Herabsetzung der christlichen Kirche zu Gunsten des darin verherrlichten Judentums" sah, rief diese Äußerung Schillers heftigen Protest hervor.

Spielen Juden eine Rolle in Schillers Werken?

Schiller zeigte kein großes Interesse für das Judentum und jüdische Menschen. Allerdings stand er in der Tradition der Aufklärung und setzte sich mit dieser auch (selbst-)kritisch auseinander. Nebenbei bemerkt: Die Aufklärer engagierten sich für die Emanzipation aller Menschen, also auch für die der Juden ein. Sie würdigten die Bedeutung des jüdischen Monotheismus, sahen aber die positiven Inhalte der jüdischen Religion kritisch, so etwa die Halacha, die religiös geprägte Alltagspraxis. Schiller wiederum beurteilte in der Tradition der Aufklärung die Menschen nicht nach ihrer Religion, sondern propagierte die Vervollkommnung aller Menschen ("Alle Menschen werden Brüder"), also musste er auch die Juden miteinschließen.

In seinen Dichtungen hat Schiller Juden jedoch keinen bedeutenden Platz eingeräumt. Er hat weder Spottverse über sie geschrieben, noch hat er sie in Dramen und Romanen ausführlich behandelt. Hin und wieder wird allerdings behauptet, dass in seinem Erstling "Die Räuber" auch Juden mit im Spiele wären, etwa Spiegelberg, der Kumpan von Karl Moor, genannt "der Beschnittene". Vielleicht hat ein Jude aus der Bande des bayerischen Hiasl Schiller als Vorbild für den Räuber Spiegelberg in den "Räubern" (1781) gedient, überlegt der Historiker und Fotojournalist Nachum Tim Gidal.

Diese Vermutung vermag Ludwig Geiger nicht zu teilen und meint, Spiegels Äußerung zu Moor in einer Variante der zweiten Auflage (1.Akt 2.Szene): "Warum sollte der Teufel so jüdisch zu Werke gehen?" wäre gewiß doch eher im Munde eines judenfeindlichen Christen als in dem eines Juden begreiflich, auch die Bemerkung: "Wie wärs, wenn wir Juden würden und das Königreich wieder auf das Tapet brächten", sei für Juden unwahrscheinlich. Die in diesem Zusammenhang herangezogene Anspielung auf die "hebräische Grammatik" (im unterdrückten Bogen B. zit.in Berliner Ausgabe Bd. 1 S.850) kann nicht zur Klärung der Frage beitragen, da die Kenntnis des Hebräischen nicht zum allgemeinen Bildungsgut der deutschen Juden im 18.Jahrhundert gehörte.

Spiegelberg fügt zwar noch hinzu: "Ich bin freylich wunderbarerweiß schon voraus beschnitten." Doch die Antwort Moors: "Hahaha! Nun merk ich, warum du schon gegen Dreyviertel Jahr eine hebräische Grammatik herumschleifst. Du willst die Vorhaut aus der Mode bringen, weil der Barbier die deinige schon hat?", spräche, so Geiger, nicht unbedingt dafür, dass Spiegelberg ein Jude ist.

Spiegelberg spricht allerdings noch weiter: "Wir wollen sie im Thal Josaphat wieder versammeln, die Türken aus Asien scheuchen, und Jerusalem wieder aufbauen. Alle alten Gebräuche müssen wieder aus dem Holzbügel hervor. Die Bundslade wird wieder zusammengeleimt. Brandopfer die schwere Meng. Das neue Testament wird hinausvotirt. Auf den Messias wird noch gewartet, oder du, oder ich, oder einer von beyden. .. Wir sezen dir eine Taxe aufs Schweinefleisch, daß fressen kann, wer zahlt, und das muß horrend Geld abwerfen. Mittlerweile lassen wir uns Zedern hauen aus dem Libanon, bauen Schiffe, und schachern mit alten Borden und Schnallen, das ganze Volk.? Darauf Moor: "Saubere Nation! Sauberer König!" Spiegelberg: "Drauf kriegen wir die benachbarten Ortschafften, Amoriter, Moabiter, Russen, Türken und Jethiter, ohne Schwerdtstreich, unter den Pantoffel, Denn, must du wissen, wir sind mächtig im Feld, und der Würgengel reutet vor uns her, und mäht sie dir nieder wie Spizgras. - Und haben wir erst um uns herum Feyerabend gemacht, so kommen wir uns selbst zwischen Jerusalem und Samaria in die Haare - du, König Moor von Israel, ich, König Spiegelberg von Juda und zausen einander wacker herum im Wald Ephraim, und wer Sieger ist geht her, lässt die Dächer abdecken und beschläft die Kebsweiber des andern, dass da zugaffen alle zwölf Stämme Israel."

Ich füge hier einen längeren Abschnitt aus einem Vortrag von Wilhelm Hofmann ein:

Hofmann befindet, dass der soeben zitierte Ausschnitt "eine bemerkenswerte Textpassage aus dem Werk des späteren Weimarer Klassikers Schiller" sei: "Die germanistische Forschung befand sich sehr lange in ziemlicher Verlegenheit gegenüber diesem Phänomen. Sie glaubt in ihrer Mehrzahl festgestellt zu haben, dass Spiegelberg eigentlich kein Jude sei, und glaubt deshalb das Problem beiseite schieben zu können. Merkwürdige Beruhigung, sich zu erklären, dass der fiktive Spiegelberg aus anderen als religiösen Gründen beschnitten sei und dass deshalb die Frage aus dem Kontext ,Schiller und die Juden" auszusondern sei. Weiter führen Untersuchungen, die zeigen, dass sich in der Figur Spiegelbergs chiliastische, messianische und allgemein ketzerische Traditionen verkörpern. Bemerkenswert erscheint die Hypothese, dass ein "Ur-Spiegelberg" anzunehmen ist, der als Motor der Räuberrebellion anzusehen war und dessen Motivation unter anderem jüdisch-messianische Züge aufweist. Damit erscheint erwiesen, dass Schiller den Protest gegen die repressiven Tendenzen seines Jahrhunderts auch mit Bezug auf eine jüdische Außenseiterposition zu artikulieren versuchte. Die Unterdrückung wesentlicher Aspekte der Spiegelberg-Figur und deren eindeutig negative Bewertung in der veröffentlichten Fassung der Räuber könnte als Teil der Selbstzensur Schillers verstanden werden. Spiegelberg könnte für die Konsequenzen einer radikalen politischen und gesellschaftlichen Opposition stehen, die den moralischen Grundsätzen des Bürgertums zuwider lief und so letztlich von Schiller tabuisiert wurde. Jüdische Motive können also in diesem Fall verdrängte Oppositions-Potentiale enthalten. Die Projektion negativer Eigenschaften wie Bosheit, Grausamkeit, Jähzorn auf die mit jüdischen Motiven konnotierte Figur des Spiegelberg nähert sich allerdings damit leider einem nur allzu bekannten Projektionsmechanismus, der tabuisierte eigene Gefühle und Tendenzen dem Jüdischen als dem Anderen unterschiebt."

Wie dem auch sei, Norbert Oellers scheint die Frage, ob Spiegelberg ein Jude für deren negative Beantwortung es gute Gründe gibt, für das hier zur Diskussion stehende Thema wenig interessant, weil Spiegelberg prinzipiell nicht mehr oder nicht weniger gilt als Karl Moor oder Schufterle oder Kosinsky - auch wenn er vielleicht als politischer Abenteurer die festesten Umrisse erhalten hat, und deshalb ist zu vermuten, dass der junge Schiller ihn in aller Heimlichkeit bewundert haben könnte. Oellers hat sicherlich Recht, wenn er meint, dass die Judenproblematik, wenn überhaupt, in dem Stück "Die Räuber" höchstens flüchtig berührt wird. Ob die Figur des Moritz Spiegelberg, wie das einige sprachliche Hinweise mitsamt dem Vorschlag zur Wiedererrichtung eines jüdischen Staates andeuten, im Drama "Die Räuber" tatsächlich als Jude konzipiert war, ist also wohl unerheblich und zugleich fragwürdig. Letztlich fehlen schlichtweg die Beweise dafür, dass Schiller in seinen "Räubern" Juden dargestellt hat.

Wilhelm Hofmann gibt indes weiter zu bedenken, dass Schillers Stellung gegenüber der Gesellschaft seiner Zeit ambivalent gewesen sei. "Einerseits steht er wie sein Held Karl Moor gegen die Einschnürung des Individuums, die er als Kennzeichen des sogenannten aufgeklärten Absolutismus in der Konfrontation mit "seinem Herzog" Karl Eugen von Württemberg buchstäblich am eigenen Leib erfährt. Andererseits bewahrt er eine profunde Skepsis gegenüber den Allmachtsphantasien, die seine Räuberrebellen artikulieren, und er lässt sein Stück mit der Kapitulation des Räuberrebellen vor der Obrigkeit enden - das ist allerdings kein überzeugendes Versöhnungsmotiv, weil, die willkürlichen Unterdrückungsmechanismen des feudalistischen Absolutismus eigentlich nicht legitimiert werden können." Die Selbstzensur habe dann, führt Hofmann weiter aus, zu einer pejorativen Bewertung der Rebellion geführt. "Diese Problematisierung des Rebellentums hat Schiller mit der Figur des Moritz Spiegelberg verbunden ? einer Figur, die uns hier besonders interessiert, weil jüdische Motive mit ihr verbunden sind. Vor dem Druck des Erstlingsdramas hat Schiller einen Bogen zurückgezogen und den Text verändert, entschärft - wobei gerade die entscheidenden Passagen über den Räuber Spiegelberg der Selbstzensur zum Opfer fielen: Unterdrückter Bogen B der Räuber."

Aber schauen wir uns weiter in Schillers Dichterwerkstatt um.

Der Dichter soll während seiner Vorstudien zum "Wallenstein" auf Jehudah Abravanels (1460 - 1523 ungefähr) "Dialoghi" gestoßen sein, in denen der Mensch - auch in Goethes Sinne - "in Naturverbundenheit und Willensbestimmtheit" gefasst ist. Aber ob die Lektüre wirklich für den "Wallenstein" von Belang geworden ist, dünkt ebenfalls mehr als fraglich.

In Schillers Jugendlyrik kann man nur mit Mühe gewisse anrüchige Formulierungen ausmachen, wie etwa "Pharisäerlarven" und "Eure Juden schachern mit der Münze" in dem Gedicht "Die schlimmen Monarchen" sowie "ermauscheln und "Pharisäer" im Sinne von selbstgerechten und heuchlerischen Menschen in dem Gedicht "Der Venuswagen", was einem Karl Kraus offensichtlich nicht sonderlich aufgefallen ist oder dem er keinerlei Bedeutung beigemessen hat. Entdeckte er in diesem Gedicht doch nur, wie er 1905 in der "Fackel" schrieb, einen "Triumph der Sinnlichkeit." Zumindest kann man aus all diesen Textstellen nicht auf eine pro- oder anti-jüdische Mentalität des Dichters schließen, auch wenn gerade der Ausdruck "Pharisäer" das Bild von Juden bei Antijudaisten lange Zeit bestimmt hat und oft heute noch den christlich-jüdischen Dialog unnötig erschwert. Wie damals und leider manchmal heute noch üblich hat Schiller die drei oben zitierten Ausdrücke wohl lediglich gedankenlos benutzt.

Kurzum, in Schillers Schriften kommen kaum Juden vor, von denen jedoch keiner eine wichtige Figur ist oder als besonders tugendhaft oder als besonders anrüchig dargestellt wird.

Schiller und die Bibel

Schiller war ein vorzüglicher Kenner der Bibel. Denn immer wieder findet man in seinen poetischen Werken, vor allem in den Dramen Zitate und Anspielungen auf die Bibel, am häufigsten in der "Jungfrau von Orléans", aber auch in den "Räubern" und in der Kapuzinerpredigt in "Wallensteins Lager". Doch hat er biblische Wendung oft sehr frei genutzt. Indes ist mit dieser Feststellung ebenfalls wenig über Schillers Einstellung zur jüdischen Religion und zur Geschichte des Judentums und zu einzelnen Juden seiner Umgebung ausgesagt. Goethe allerdings hat den poetischen Wert der Bibel noch höher geschätzt als Schiller, der die Bibel in erster Linie durch seine fromme Mutter kennen gelernt hatte. Auch zeigen seine Briefe, im Gegensatz zu denen Goethes, kaum Anklänge aus der Bibel.

In seiner Jenaer Vorlesung "Die Sendung Moses" hat sich Schiller dagegen auch über das Judentum und über angebliche charakteristische Eigenschaften von Juden geäußert. Manches klingt angesichts des Holocaust aus heutiger Sicht etwas leichtfertig.

Bei Schiller, der Moses als säkularisierten Aufklärer mit politischen Wirkungsabsichten zeichnet, erscheint dieser wie ein psychologisch geschulter Religionsstifter, der den Hebräern ein neues kulturelles Selbstverständnis verschafft. Um sein Volk aus der ägyptischen Sklaverei zu erlösen und in einem Staat zu vereinen, benötigte Moses ein wirksames Instrument moralischen Zusammenhalts. Dieses Instrument sah er in der Religion. Bemerkenswert sind Schillers Ausführungen vor allem deshalb, weil sie entschieden das Postulat, dass ein Gott sei, vertreten und weil sie folglich vom unbedingten Nutzen der Religion für die Menschen handeln. Die Religion heißt es bei Schiller, sei "die stärkste und unentbehrlichste Stütze aller Verfassung". Gott werde gebraucht, "zur Gesetzgebung und zur Grundlage des Staats" und zwar der "wahre Gott". Für Schiller kann dies nur der abstrakte antlitzlose Vernunftgott sein, wie ihn die ägyptischen Mysterien gekannt haben; diesen habe Moses, so Schiller, aus praktischen Gründen anthropomorphisiert. Doch trägt das Judentum wie auch die aus ihm hervorgegangenen Glaubensrichtungen, das Christentum und der Islam, für Schiller den Keim der Verderbnis in sich, weil alle ein verzerrtes Bild des "wahren Gottes" vermitteln. Gleichwohl habe Gott zu Moses' Zeit seine Funktion erfüllt, als dieser die Befreiung der Israeliten durchsetzte. Insofern sei die 'Verfälschung' gerechtfertigt.

"Die Sendung Moses" ist eine Vorlesung des ersten Sommers in Jena. Später hat sie Schiller in der Zeitschrift "Thalia" veröffentlicht. In dieser Vorlesung, die im wesentlichen eine Auslegung des zweiten Buches Moses'(Exodus) darstellt, verfährt Schiller im Stil des aufgeklärten Rationalisten, indem er die vierhundertjährige Geschichte der in Ägypten unterdrückten Israeliten, die Geschichte Moses' des Retters, und andeutungsweise, den Auszug aus Ägypten, an historische Bedindungen knüpft, die sich der spekulative Kopf zum Teil ausgedacht hat, um die Geschichte 'vernünftig' zu machen. Kein Wunder, dass Schillers bemüht aufklärerisches Geschichtsdenken dann zum Ärgernis aller gläubigen Juden und Christen geworden ist.

Die mosaische Religion habe, meint Schiller weiter, die Aufklärung deutlich gefördert, denn sie habe "eine kostbare Wahrheit, welche die sich selbst überlassene Vernunft erst nach einer langsamen Entwicklung würde gefunden haben, die Lehre von dem Einigen Gott vorläufig unter dem Volke verbreitet und als ein Gegenstand des blinden Glaubens so lange unter demselben erhalten habe, bis sie endlich in den helleren Köpfen zu einem Vernunftbegriff reifen konnten.

"..alles Böse", versichert Schiller an einer Stelle, "welches man diesem Volk nachzusagen gewohnt ist, alle Bemühungen witziger Köpfe, es zu verkleinern, werden uns nicht hindern, gerecht gegen dasselbe zu seyn."

Natürlich kannte Schiller Judenfeindschaften vergangener und gegenwärtiger Zeit. Doch glaubte er, dass durch unmenschliche Repressionen in Ägypten, "der erste Grund zu dem Übel gelegt" worden sei, "welches dieser Nation (den Juden) bis auf die heutige Zeit eigen geblieben ist", nämlich die "höchste Unreinlichkeit und ansteckende Seuchen" ... "..aus einem zufälligen Übel entstand endlich eine erbliche Stammesconstitution." Ferner spricht Schiller davon, dass unter der Knechschaft die Juden in Ägypten "das roheste, das bößartigste, das verworfenste Volk der Erde" geworden seien. Im Grunde benennt Schiller mit dem Hinweis auf die "barbarische Behandlung" der Juden durch ihre Unterdrücker nur die Ursache ihrer schlechten Verfassung. Es kann daher als sicher gelten, dass Schillers superlativistische Exklamationen keine antisemitischen Ausfälle sein sollten, aber ebenso sicher ist, dass er den Feinden der Juden, deren es unter seinen Zuhörern und Lesern wohl etliche gegeben hat, nicht energisch entgegengetreten ist, obwohl er sich die Gelegenheit, es zu tun, selbst geschaffen hat. "Die Versicherung, gerecht sein zu wollen, war auch 1789 nicht ausreichend", schreibt Oellers und kommt zu dem Schluss: "Schiller war kein Gegner des Judentums, aber er war weit davon entfernt, sich als Freund des Judentums auszuzeichnen."

Schillers Vorlesungen über "Die Sendung Moses" erachteten viele Schiller-Kenner für einen großartigen Essay, obwohl er eine Aussage enthält, die als Inbegriff eines antisemitischen Slogans gilt: die Juden bildeten einen "Staat im Staat". Schiller sagt wörtlich: "Die Ebräer.. lebten abgesondert von den Egyptern .. und machten auf diese Art einen Staat im Staat aus."

Als der jüdische Bankier Simon Edler von Laemel einmal mit Goethe zusammentraf, sagte er ihm: "Der Schiller, Ew.Exzellenz, hat uns Juden mit seiner Abhandlung 'Die Sendung Mosis' sehr weh getan, und was das Schlimmste ist, er hat uns gekränkt, weil er die Sache gar nicht verstanden hat." Der Völkerpsychologe Moritz Lazarus hat sich um 1900 ebenfalls kritisch mit Schillers Jenaer Antrittsvorlesung über die Grundlagen der Universalgeschichte auseinander gesetzt. Was ihn an Schillers idealistischem Konzept vor allem störte, war die Missachtung der Bedeutung der jüdischen Geschichte und Literatur für die moderne Kulturentwicklung.

Drei Jahre nach Schillers Moses warf Johann Gottlieb Fichte den Juden vor, sie bildeten einen Staat im Staat, weshalb er von Saul Ascher (1767-1822) als "Eisenmenger der Zweite" gebrandmarkt wurde - als schlimmster Judenfeind also. Aber über den "edlen Schiller" hat Ascher allem Anschein nach kein Wort verloren.

Der Antisemit Theodor Fritsch (1852-1933) schreibt dazu in "Der falsche Gott" an, neuere Forschungen hätten ergeben, dass "die jüdische Lehre nicht Anspruch darauf erheben" könne, "einen Monotheismus in höherem Sinne darzustellen, da sie einen Gott aller Menschen nicht kennt, sondern nur einen nationalen Sondergott verehrt, der ausschließlich für das Volk Juda sorgt und alle übrigen Völker mit Hass verfolgt."

Sonach müsse die Verehrung für das "unreine und gemeine Gefäß" wesentlich herabgestimmt werden.

Schiller hat in seiner Vorlesung "Die Sendung Moses" aber auch die Verdienste der "Hebräer" in höchsten Tönen gelobt: "In einem gewissen Sinne ist es unwiderlegbar wahr, dass wir der mosaischen Religion einen großen Teil der Aufklärung danken, deren wir uns heutzutage erfreuen", schreibt er.

Klaus Berghahn meint hierzu, dass bei aller Verehrung für die Hebräer selbst bei Schiller mentale Vorbehalte durchschimmerten, die auf die Grenzen der Aufklärung verwiesen. Denn offensichtlich war es für ihn und zahlreiche Aufklärer leichter, die Hebräer einer fernen Vergangenheit zu loben, als sich mit der angeblichen "Unwürdigkeit und Verworfenheit der Nation" in der Gegenwart auseinander zu setzen. Allen guten Absichten der Aufklärer zum Trotz darf man nicht übersehen, dass selbst Lessing und Schiller mit ihrer Geschichtsphilosophie in einen unreflektierten Gegensatz zum Judentum gerieten, indem sie es sich für ihre Zwecke zurechtlegten. Schillers historische Rechtfertigung der mosaischen Religion kränkelt an seinem universalhistorischen Entwurf, der das Besondere und Eigentümliche des Judentums seiner totalisierenden Gegenwartsperspektive unterordnet und daher für das nahe Fremde kein Gespür hat. Gleichwohl hat Schiller neben Lessing und Herder mit dazu beigetragen, laut Berghahn, das Judentum historisch zu rechtfertigen, um auf diese Weise die Fremdheit dieses Volkes und die Besonderheit seiner Religion besser zu verstehen - und zu tolerieren.

Oellers weist in diesem Zusammenhang darauf hin, wie bereits erwähnt, dass Kaspar Schillers Vorschlag gegenüber seinem Sohn, er möge die Geschichte des Judentums schreiben - weniger aus theologischer als aus philosophischer Sicht, mit dem Historischen als Substrat des Philosophischen - nicht allein darauf hindeutet, dass er dem Geschichtsprofessor ein solches Werk zutraute, sondern auch, dass er annahm, dieser habe Neigung zu dem Stoff. Nichts anderes mochte Körner gedacht haben, als er Schiller in einem Brief vom 6.Oktober 1790 nahe legte, er solle eine Reihe von Beiträgen wie "Die Sendung Moses" "liefern, die zusammen eine historische Galerie liefern könnten." Schiller dankte Körner für die Anregung und kündigte weitere Aufsätze "ungefähr von demselben Gehalt" an. Das Versprochene reduzierte sich dann auf die Abhandlung "Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde", die im 11.Heft der "Thalia" 1790, einen Monat später als "Die Sendung Moses" erschien. Beide Abhandlungen geben im wesentlichen die Vorlesungen wieder, die Schiller Ende Juni 1789, etwa vier Wochen nach dem Beginn seiner Vorlesungstätigkeit an der Jenaer Universität gehalten hatte.

Bemerkenswert an diesem Essay ist, dass Schiller den Sündenfall als den glücklichsten Moment der Weltgeschichte verstanden hat. "Dieser Abfall des Menschen vom Instinkte", behauptete Schiller, angeregt durch Kants Abhandlung "Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte"(1786), "der das moralische Übel zwar in die Schöpfung brachte, aber nur um das moralisch Gute darin möglich zu machen, ist ohne Widerspruch, die glücklichste und größte Begebenheit in der Menschheitsgeschichte, von diesem Augenblick her beschreibt sich seine Freiheit..". Schiller versuchte, im Anschluss an seine Kant-Studien in diesem Essay zu beweisen, dass die Entwicklung des Individuums unter dem Gesetz einer fortschreitenden Verfeinerung seiner Vernunftfertigkeiten vonstatten geht, deren Bedingung gerade die Vertreibung aus dem Paradies war. Im ersten "Übergang des Menschen zur Freiheit und Humanität" wird der Sündenfall also nicht für eine rückwärtige Bewegung, sondern für einen Riesenschritt vorwärts gehalten, weil der Mensch dadurch aus einem Sklaven des Naturtriebs ein freihandelndes Geschöpf wurde, das aus der engen Ruhe des Paradieses in die tätige Weite und die weite Tätigkeit des Lebens versetzt wurde."

Aus vielem, was Schiller in den Essays geschrieben hat, spricht nicht so sehr der Bibelforscher, auch nicht der Historiker, sondern vor allem der Poet mit einer kühnen Phantasie. Die Bedeutung, die Schiller dem Wüstenaufenthalt für die Sendung Moses zuschreibt, beruht ganz offensichtlich auf einer eigenständigen Deutung der biblischen Erzählung.

In seinen Vorlesungen ging es Schiller auch keineswegs um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit religiösen Fragen, seien diese jüdisch oder christlich. Es ging auch nicht um Theologie, nicht einmal um Geschichte im strengen wissenschaftlichen Sinne, sondern eher um eine Philosophie der Geschichte, das heißt um die philosophische Interpretation historischer Zeugnisse. Seine etwas merkwürdige Darlegung ist mithin weniger eine historische als eine philosophische Abhandlung. Ihm kam es auf eine psychologische Studie an, nämlich zu zeigen, wie der Seele Mosis die Idee entstammen konnte, sein Volk zu rächen, und wie diese Idee zur Ausführung gelangte.

Für Schiller war das Judentum die Quelle für Christentum und Mohammedanismus, die Verkünderin der Lehre von der Einheit Gottes für die ganze Menschheit. Safranski schreibt hierzu: "Es ist von nichts weniger die Rede als von der Erfindung des Monotheismus in Ägypten und von der Weitergabe dieser Geheimlehre durch den Mann Moses an die Hebräer, deren universalhistorische Bedeutung es war, diese Sendung wider Willen in christlicher Verpackung einem ganzen Weltkreis zugesellt zu haben. Es soll also das Betriebsgeheimnis einer Religion, die auf krummen Wegen Karriere gemacht hat, aufgedeckt werden."

Apropos: In Goethes 1797 begonnenem Aufsatz "Israel in der Wüste", der später Eingang in die "Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans" fand und in dem Goethe dasselbe Thema behandelt hat wie Schiller in "Die Sendung Moses", rekonstruiert er ebenfalls recht frei die Ereignisse um Knechtschaft und Rettung Israels, wie sie sich seiner Ansicht nach hätten begeben können.

Um noch einmal auf die Ausführungen von Wilhelm Hofmann zurückzukommen: Hofmann weist hier zum Schluss seines Vortrags darauf hin, dass Schiller in seinem Spätwerk eine Poetik des Erhabenen entwickelte, und er sich damit - unbewusst - auch abendländischen Traditionsbeständen angenähert habe, die von der jüdischen Kultur mitbestimmt seien.

Was hielten Juden von Schiller?

Zu seinen Lebzeiten wurde Schiller, im Gegensatz zu Goethe, von weltlich gebildeten Juden relativ wenig beachtet. Im Laufe des 19. Jahrhunderts jedoch stieg seine Popularität mächtig an.

Ludwig Geiger, der darauf bedacht war, alle großen deutschen Dichter von dem Verdacht des Antisemitismus freizusprechen, meinte, dass die deutschen Juden weder Goethe noch Schiller wegen ihrer Lauheit gezürnt hätten, im Gegenteil gerade Schiller hätten sie, soweit sie sich als Deutsche fühlten, gehuldigt und ihn als nationalen und idealen Dichter gefeiert.

Tatsächlich haben viele Juden sich direkt und unumwunden zu Schiller bekannt. Hier einige Beispiele: Oskar Blumenthal (1852-1917) zitierte mit Vorliebe Schiller. Ludwig Fulda (1862-1939), der sich als Deutscher jüdischer Abstammung verstand, zählte neben Goethe, Lessing, Kant und Schopenhauer auch Schiller zu seinen "Propheten" und widmete ihm zu seinem hundertsten Todestag 1905 ein langes Gedicht nach dem Lied "An die Freude". Für Joseph Roth(1894-1939) wiederum war "das Land Goethes und Schillers" Inbegriff eines europäischen Humanismus.

Die "Allgemeine Zeitung des Judentums" konstatierte in einem Aufsatz von Kayserling zu den Schillerfeiern 1859, an denen sich auffallend zahlreiche Juden beteiligt hatten, dass Schiller ein Liebling der jüdischen Jugend sei. Der Rabbiner Samson Raphael Hirsch, der in seinen Kanzelreden oft auf Goethe und Schiller zu sprechen kam, lobte zum 100.Geburtstag Schiller am 10. November 1859 emphatisch als "die Dämmerung jener Morgenröte, wo die Menschen einst alle aufstehen werden und die Binde vollends von ihren Augen fallen wird".

Auch Juden, die wie Moses Hess und der heute nahezu vergessene Schriftsteller Ludwig Kalisch (1814-1882) im Pariser Exil lebten, haben in großer Zahl an den Feierlichkeiten zum hundertstem Geburtstag von Friedrich Schiller teil genommen. In Gegenwart von über dreitausend Personen hielt Kalisch im Cirque de l'Impératrice die Festrede, in der er hauptsächlich Schillers Bedeutung für den moralischen und ethischen Fortschritt der Menschheit würdigte. "Das goldene Zeitalter", so rief Kalisch am Schluss seiner Rede aus, "wird und muss kommen, denn die Menschheit schreitet vor und nicht rückwärts..."

Vor allem in Galizien und in der Bukowina galt Schiller als "der" deutsche Freiheitsdichter schlechthin. Wegen seines mitreißenden Freiheitspathos war der Dichter des Idealismus für geknechtete Ostjuden geradezu ein Labsal. Man nannte ihn sogar "Rebb Schiller".

Adolf Jellinek behauptet in "Der jüdische Stamm" bei der Schilderung einer Talmudschule aus dem 3.Jahrzehnt des 19.Jahrhunderts: "Der Hörer talmudischer Kasuistik trägt Don Karlos bei sich und schwankt zwischen der Gedankenfreiheit des Marquis Posa, für die er besonders schwärmt, und den haarscharfen Distinktionen seines Meisters."

Chaim Nachman Bialek (1873-1934) wiederum hat den Dwir-Verlag in Berlin gegründet, in dem "Wilhelm Tell" in hebräischer Übersetzung erschien.

Einen Einfluss Schillers bemerkt man auch in Berthold Auerbachs Briefen. Eine Reihe von Zeugnissen belegt Schillers große Popularität in jüdischen Kreisen und seine direkte Einwirkung auf die Dichtung innerhalb all dieser Zirkel.

Der 1848 in Mähren geborene Gustav Karpeles schreibt an Geiger: "Von der Popularität Schillers im Ghetto, namentlich in den Talmudschulen (Jeschiwas) können Sie sich gar keine Vorstellung machen. Man kann diese nicht hoch genug einschätzen und getrost behaupten, Schiller war der Dichter des Ghetto; namentlich gilt dies für Polen und Österreich." Von Karpeles stammt eine kleine Schiller-Anekdote:" Ein Bachur wird von einem Kollegen erwischt, als er ein deutsches Buch laut liest. Der Späher hört ihm aufmerksam zu, wie er liest: 'Zu Dionys. dem Tyrannen - dem Rosche - schlich - er ist geloffen - Möros, den Dolch - den Chalef - im Gewande - in der Kapote-;' Nun stürzt der Späher auf den harmlosen Leser los: 'Was machst Du denn da?' Antwort:'Ich verteutsch mir Schiller'".

In einschlägigen Erinnerungen, Briefen, Berichten osteuropäischer Juden, aber auch aus den Ghettos im engeren deutschen Bereich sind eine Fülle von Anekdoten und kleinen Szenen überliefert, die eine erstaunliche Präsenz Schillerscher Gedichte, Balladen, einzelner Theaterstücke (vor allem von Don Karlos) bezeugen. Die seinerzeit beliebte und viel zitierte Skizze "Schiller in Barnow" des aus Galizien stammenden Karl Emil Franzos veranschaulicht besonders gut Schillers Beliebtheit im Osten Europas: Ein zerlesenes Exemplar von Schillers Gedichten ist gemeinsames Eigentum eines katholischen Mönchs, eines ruthenischen Schulmeisters und eines Barnower Juden. Schiller spendete dem ärmlichen Leben, wie Franzos schreibt, der drei "Licht und Labung".

Franzos berichtet weiter, dass es in Barnow (der Ortsname ist ein Pseudonym für seine Heimatstadt Czortk\F3w) mit einer nicht unerheblichen jüdischen Bevölkerung, fünfmal Schillers Werke in Einzel- oder Sammelausgaben gegeben habe, aber nur die Juden hätten darin mit wachsendem Entzücken gelesen, und zwar je ärmer und elender sie waren, desto entzückter seien sie gewesen.

Bekannt geworden sind auch ernsthafte und wohlgelungene Übersetzungsversuche der Schillerschen Werke in Galizien oder Russisch-Polen. Alle seine Dramen und die meisten seiner Gedichte sollen dort sogar ins Hebräische übersetzt worden sein.

Samuel Meisels beschreibt in "Deutsche Klassiker im Ghetto" die jüdische Aufnahme der deutschen Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller in Polen und Russland mit folgenden Worten: "Die gebildeten Juden des Ostens brachten den beiden Dichterheroen dieselbe Ehrerbietung entgegen, aber nicht dieselbe Liebe. Goethe war ihnen bloß der große Dichter, Schiller dagegen ihr Freund, ihr Tröster, ihr Liebling." Meisels schreibt weiter: "Sie schauten zu ihm (Schiller) empor wie zu einem Gottesmann und huldigten ihm wie einem König. Sie bewunderten in ihm den Genius der Menschheit und der Menschlichkeit. Was dämmernd noch in ihrem Geiste webte, was ahnungsvoll ihr Herz bewegte - in seinen Werken fanden sie es in wundervollen Tönen und mit einem an die Propheten gemahnenden Pathos vorgetragen."

Schiller war also weitaus mehr als ein aus dem Westen importierter Lesestoff, merkt Hans Otto Horch an.

Und bei Meisels heißt es weiter:"(er) galt im Ghetto nicht als gottbegnadeter Dichter, sondern als Weiser, den Gott mit einem Teil seiner Weisheit ausgestattet hat... Schillers Werke gehörten zu denjenigen Büchern, die man in der Abenddämmerstunde - der Tag musste dem Thorastudium geweiht sein - ungehindert lesen durfte. Die Schriften Mendelssohns waren in Acht und Bann getan, viele hebräische Bücher standen auf dem Index, aber Schiller war frei."

Goethe hatte es im Ghetto hingegen etwas schwerer. Doch durchweg wusste man über die Biographien der beiden Dichter herzlich wenig, sondern man nahm ihren Namen gleichsam als Kürzel für ihre Werke. Als 1832 die Nachricht von Goethes Tod den gebildeten Oberrabbiner in einem galizischen Städtchen namens Zolkiew so erschütterte, dass er sie in der Synagoge der Gemeinde weitergab, trauerte die Gemeinde um ihn in der rechten jüdischen Weise, weil sie annahm, ein gelehrter Rabbi namens Goethe sei gestorben - eine seltsame Ehre für einen großen Dichter, der bis zu seinem Lebensende mit den Juden nicht völlig ins Reine gekommen war.

Die jüdische Rezeption Goethes und Schillers in Deutschland machte vergleichbare Unterschiede. Unter den östlich orthodox ausgerichteten Juden fanden sich mehr Begeisterte für Schiller als für Goethe. Schillers Überzeugungen schienen ihnen eher in Einklang mit jüdischen Idealen zu stehen als die Goethes. Dagegen haben sich die westlich ausgerichteten assimilierten Juden mitunter despektierlich über Schiller geäußert, von Börne bis hin zu Adorno.

Bei Ludwig Börne (1786-1837) findet man eine Reihe wegwerfender Äußerungen über den Dichter, namentlich über seine Stellung im deutschen Volk, für die Schiller am wenigsten selbst verantwortlich war, sowie über seinen Mangel an Witz. Enttäuscht war Börne über Schillers Kotau vor dem Weimarer Aristokratismus, wusste er doch, dass der "Dichter der Vernunftfreiheit" zumindest zu Beginn der Französischen Revolution mit deren Zielen sympathisiert hatte. Anfangs hatte Börne Schiller mit dem "liebevollen, weltumfluteten Herzen" gelobt, später sah er in ihm nur noch einen elitären Geistesaristokraten. "Haben Goethe und Schiller das Recht, auf das Volk, dem sie angehören, so stolz herabzusehen?" fragt er in seinem Sodener Tagebuch und gibt sich selbst die Antwort: "Sie weniger als einer. Sie haben es nicht geliebt, sie haben es verachtet, sie haben für ihr Volk nichts getan...Schiller und Goethe lebten nur unter ausgewählten Menschen, und Schiller war noch ein schlimmerer Aristokrat als Goethe."

Die Tötung Geßlers durch Tell in Schillers Stück empfand Börne als "schnöden Meuchelmord" und äußerte seine Verwunderung darüber, wie man diese Tat je sittlich und schön habe finden können.

Heinrich Heine (1797-1856) fühlte dagegen für Schiller große Verehrung. Er nannte ihn "das schönste Herz, das jemals in Deutschland gelebt und gelitten hat." Auch erkannte Heine: "Schiller schrieb für die großen Ideen der Revolution, er zerstörte die geistigen Bastillen, er baute an dem Tempel der Freiheit und zwar an jenem ganz großen Tempel, der alle Nationen gleich einer einzigen Brüdergemeinde umschließen soll. Er war Kosmopolit."

Der jüdische Publizist und Humorist Moritz Gottlieb Saphir (1795-1858) wiederum schrieb Parodien auf Verse aus der "Jungfrau von Orleans" und auf Schillers "Punschlied", Friedrich Torberg auf die "Glocke".

Im Kampf zwischen Marxismus und Revisionismus geriet der Dichter entweder zum Musterfall politischer Rückständigkeit im Deutschland des achtzehnten Jahrhunderts - so zum Beispiel in Franz Mehrings (1846-1919) "Schiller - Lebensbild für deutsche Arbeiter von 1905" - oder zum revolutionären Idealisten, wie ihn Kurt Eisner (1867-1919) im gleichen Jahr dem Massenpublikum des "Vorwärts" präsentierte.

In "Schiller und die Gegenwart" (1905) schreibt er: "Dem Götzenbilde, das die bürgerlichen Klassen aus ihm gemacht haben, zerschmettern wir die tönernen Füße, aber in dankbarer Ehrfurcht grüßen wir die hohe Gestalt des kämpfenden Mannes in der Ahnenreihe des proletarischen Emanzipationkampfes." Rosa Luxemburg wiederum meint über Mehrings Schillerbuch, dass Mehring ".. indem er den Leser vor kritiklosem Nachbeten und jeglichem Kultus Schiller gegenüber bewahrt, zugleich die wirkliche erhabene Schönheit seines großen Lebenswerkes der deutschen Arbeiterschaft nur um so plastischer vor Augen" bringt.

In der von Karl Marx redigierten "Neuen Rheinischen Zeitung" dominieren vor allem die ironischen Bezüge auf Schiller und ein eher ambivalentes Verhältnis zur pathetischen Politik. Für Lassalle (1825-1861) und dessen Anhänger ergibt sich hingegen ein ganz anderes Bild.

Einer der sehr wenigen Exulanten, die Schiller tatsächlich als Autor des Widerspruchs und der Zerrissenheit des beginnenden bürgerlichen Zeitalters ernst nahmen und ihn nicht zum Inbegriff des "besseren Deutschland" stilisierten, war Georg Lukács (1883-1971). In seinen zunächst 1935 in Moskau publizierten Überlegungen zu "Schillers Theorie der modernen Literatur" griff er nochmals auf Engels Formel von der "Vertauschung der platten mit der überschwenglichen Misere " zurück. Doch hatte seine abgewogene Darstellung von Schillers Monumentalisierung heroischer Gestalten und auswegloser Situationen keine Chance gegen die Suche nach eindeutig positiven Identifikationsfiguren wie sie innerhalb der Exil-KPD vor allem Johannes R.Becher betrieb

Laut Lukács lässt sich Schillers ästhetische Erziehung als ein Versuch deuten, das Ziel der Revolution "ohne Revolution" zu verwirklichen, die Revolution also überflüssig zu machen. Lukács bemühte sich ferner, ausgehend von seiner marxistischen Literaturtheorie, die Besonderheit der im Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe sich manifestierenden klassischen oder klassizistischen Positionen aus den sozio-ökonomischen Verhältnissen der Zeit nach 1789 zu bestimmen, und kam zu der Ansicht, dass die "Widersprüchlichkeit" der Kunsttheorie Goethes und Schillers sowie der anscheinende Widerspruch zwischen poetischer Theorie und Praxis, zwischen Formen und Inhalten, zwischen Zeitentrücktheit und Zeitgebundenheit aus den Widersprüchlichkeiten der in Deutschland noch nicht sonderlich entwickelten bürgerlichen Gesellschaft resultierten.

Alfred Kerr (1867-1948) bekannte 1908: "Schiller - meine Schätzung Ihres Lebenswerks ist viel kleiner als meine Liebe zu Ihnen.." und zu seinem hundertfünfzigsten Geburtstag 1909 lieferte er einen amüsant ironischen Beitrag,: "Schiller-Feste. Geburtstag. Dank des deutschen Volkes. Alle Parteien. Der herrliche Freiheitsschwabe. Die Bösen murmeln: 'Als Räuber geboren, als Hofrat gestorben.' Die Guten murmeln: 'Er war unser!' Nietzsche grient im Grabe (man wendet sich von ihm ab)... Der Zeitpunkt kommt, wo jemand aufhört ein Schriftsteller zu sein und anfängt ein Mythus zu werden. "Nichts an dir war scheel und niedrig/Teurer Schiller, edler Friedrich."

Brecht meinte später, dass mittlerweile der Original-Schiller unerträglich geworden sei und macht dafür die bürgerlichen Kulturverwalter, allen voran Alfred Kerr, verantwortlich.

Max Liebermann schreibt zum Schillerjahr 1905: "Nachdem mir das Gymnasium Schiller so viel als möglich 'verekelt' hatte, gehörte in den späteren Jahren, die ich in Weimar verlebte, Goethen meine ganze Liebe." Aber dann habe er "Kabale und Liebe" gelesen und konnte nicht aufhören zu lesen. "Die Räuber", "Fiesco" hätten ihn dann gleicherweise mit sich fortgerissen. "Aus einem Schiller-Verächter wurde ich ein Schiller-Anbeter und bin's geblieben bis zum heutigen Tage."

Hugo von Hoffmannsthal gestand 1905: "Der Goethe-Schiller Briefwechsel gehört zu den Büchern, die ich, wenn man unter allen existierenden Büchern eine geringe Zahl auswählen müsste, am schwersten vermissen würde."

Egon Friedell wies 1909 darauf hin, dass sich im Nachlass Otto Weiningers ein kleiner Aufsatz befindet, in dem Schiller als das Urbild des modernen Journalisten geschildert wird und stellt fest: "Dieser sonderbare historische Fehlschluss von den Schülern auf den Meister ist für die Beurteilung Schillers typisch geworden". "Denn ein Dichter ist ja schließlich?, so Friedell, ?nichts anderes als ein Mensch, der von der Zukunft mehr versteht als von der Gegenwart."

Theodor W.Adorno (1903-1969) kanzelte dagegen den vermeintlich praxisfernen Künstler ab als "Hofpoet des deutschen Idealismus" und ließ sich bösartig über seinen Stil aus: "Der sprachliche Habitus Schillers gemahnt an den jungen Mann, der von unten kommt und befangen, in guter Gesellschaft zu schreien anfängt, um sich vernehmlich zu machen: power und patzig." Noch in dieser Karikatur und in ähnlich pejorativen Urteilen sublimiert sich, so Klaus L.Berghahn, die richtige Erkenntnis, dass offenbar ein rhetorischer Duktus zur Eigentümlichkeit von Schillers Stil gehöre.

Judenfeinde bemächtigen sich des Dichters

Judenfeinde nahmen Schiller für ihre judenfeindliche Haltung in Anspruch wie auch andere Ideologen Schiller und Goethe für sich vereinnahmt haben.

So versuchte ein Karl Haller Schiller, schon früh in den Dienst des Antisemitismus und arischen Rassenwahns zu stellen und in der Schrift "Schiller-muss also auferstehen!" für die sogenannte "arische Freiheit" eine Lanze brechen. Er schreibt: "Wer einen Blick auf die jüdische Erotik in der Kunst unserer Tage wirft, ..der dürfte sehen, wohin uns jene 'Freiheit' geführt hat und noch führen möchte, die 1779 in die Welt trat, als leider - Lessing über Betreiben und unter eifrigem Zutun des 'edlen' Philosophen Moses Mendelssohn seinen 'Nathan-den Weisen' dem Buchhandel übergab!"

Nicht selten wurde Schiller von Judenfeinden "als völkischer Erneuerer, der das Judentum zu züchtigen wusste?, begrüßt. In die gleiche Kerbe schlug Mathilde Ludendorff, als sie meinte, Haller habe in meisterhafter Weise bewiesen, dass Schiller als Philosoph und Ethiker der Verjudung unserer Kultur eine Festung des Deutschen Idealismus entgegen gestellt habe und deshalb von den Juden grimmig gehasst worden sei.

Im Jahr 1928 erschien das Buch "Der ungesühnte Frevel" mit der Behauptung, Schillers früher Tod sei nicht Folge einer Krankheit, sondern einer Vergiftung gewesen. Der Dichter soll das Opfer eines heimtückischen Verbrechens geworden sein, verübt von Juden und Freimaurern. Diese haarsträubende These stammte von Mathilde Ludendorff, die sich zusammen mit ihrem Mann, dem Weltkriegshelden General Erich Ludendorff, den Kampf gegen die angebliche Herrschaft von Juden und Freimaurern verschrieben hatte. Das Buch erschien bis 1936 in einer Gesamtauflage von 59.000 Exemplaren. Seine Thesen wurden erregt diskutiert und provozierten wissenschaftliche Beiträge.

Hans Fabricius' Versuch, in Schiller einen "Kampfgenosse Hitlers" zu sehen und ihn zum Vorkämpfer des Nationalsozialismus zu machen, war weniger eine Demütigung Schillers als eine Verhöhnung derer, die glaubten, Schiller böte einen Schutz vor der Barbarei, kommentiert Norbert Oellers dieses Unterfangen.

Schiller bei Nazis und Kommunisten

Aber die Nazis mussten bald erkennen, dass Schiller ihrer Ideologie nicht gerade dienlich war. Denn als die Dialogzeile "Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!" bei Theateraufführungen im Nazireich immer wieder Szenenapplaus erhielt, wurde 'Don Carlos' von den Nazis kurzerhand verboten. Ähnlich erging es dem Stück ?Wilhelm Tell?. Am 3.Juni 1941 schrieb der Reichsleiter Martin Bormann an den Reichsminister Dr.Lammers: Der Führer wünscht, dass Schillers Schauspiel "Wilhelm Tell" nicht mehr behandelt wird. Da half es nicht, dass der promovierte Germanist Joseph Goebbels, der als Bewundrer und recht guter Kenner der Werke Schillers galt, den Dichter zunächst als Wegbereiter des Nationalsozialismus dargestellt hatte.

In der DDR fragte man sich, ob Schiller, hätte er in dieser Zeit gelebt, Kommunist geworden wäre, und man überlegte, für welche Staatsbürgerschaft sich Goethe wohl 1949 entschieden hätte. Um diese polemisch zugespitzten Fragestellungen kulminierten dann auch die Goethe- und Schillerfeierlichkeiten der Jahre 1949 und 1959.

Beide Dichter galten alsbald als Vorkämpfer des Sozialismus und mussten in den fünfziger Jahren für die von der SED forcierte Deutschlandpolitik herhalten. Sie wurden auf ein hohes Podest gestellt und ihr Werk in spezifischer Weise angeeignet. Auch Johannes R.Becher war fest davon überzeugt, dass das klassische Humanitätsideal im sozialistischen Humanismus seine Verwirklichung gefunden habe und schrieb 1955, wobei er sich einer Zeile Goethes bediente: "Denn er ist unser. Friedrich Schiller, der Dichter der Freiheit?, weil in der DDR verwirklicht werde, was Schiller einst erträumt hatte. Goethes Faust avancierte sogar zum Nationalepos der DDR, glaubte man doch, die DDR würde den dritten Teil des Faust darstellen.

Schiller und Goethe in ihrer Beziehung zu Juden

Schiller und Goethe wurden trotz ihres ambivalenten Verhaltens gegen Juden vom nationaldeutschen Judentum gegen Ende des 19.Jahrhunderts in einem erstaunlichen Identifikationsprozess "adoptiert", oft in der Hoffnung, über die Kunst den Weg zur von außen akzeptierten Integration und Assimilation zu finden.

Goethe, so scheint es zunächst, war kein Freund der Juden. Schiller war nicht einer ihrer zahllosen Gegner, zu denen Goethe vielleicht hingeneigt sein mochte. Aber auch Schiller war weit davon entfernt, sich als Freund des Judentums auszuzeichnen. Sicher ist: Keiner von beiden war ein entschiedener Sachverwalter der Juden. Sie waren es auf verschiedene Weise nicht.

Schiller war, wie oben dargelegt, für die meisten Ghettojuden, aber auch bei den osteuropäischen Gastvölkern "der" deutsche Dichter, mit dessen Humantitätsforderungen, mit dessen Freiheitspathos und Zukunftsvisionen viele sich identifizieren konnten. Etliche wählten seinen Namen, als sie durch ein Edikt zum Tragen eines deutschen Namens gezwungen wurden. Auch Lessing wurde von Juden solchermaßen verehrt.

Für Goethe scheint dies kaum zu gelten. Schiller war der programmatische, der verständliche, der populäre Dichter, Goethe der anspruchsvolle, der Autor einer Elite. gerade dadurch scheint er für die jüdischen Intellektuellen, die Maskilim, desto herausfordernder und attraktiver geworden zu sein. Goethe in seiner schwankenden, bisweilen verwirrenden Einschätzung und Behandlung der Juden zog gerade dadurch an, dass er sich entzog, zu Goethe bedurfte es im Gegensatz zu Schiller der Umwege. Diese reizten insbesondere gebildete Juden. Während Schillers Freiheitspathos eher im Ostjudentum zur Identifikation lockte, ermöglichte Goethes distanzierender, ins geschichtliche Modell ausweichender Blick manchen deutschen Juden die aufblickende Verehrung des epochemachenden Autors. In der gleichen Periode, als Börne den reaktionären "Monarchen" Goethe voller Hass attackierte und Heine den Weimarer "Kunstgreis" ironisch kritisierte, erschien 1825 in einem jüdischen Almanach die erste hebräische Übersetzung eines Goethe-Gedichts, nämlich ?Schäfers Klagelied"

Wenn Lessing für deutsche Juden den Schriftsteller repräsentierte, der ihnen als erster Tugend bescheinigt hatte, so weckte Schiller ihre Bewunderung durch seinen Humanitätsgedanken, an dem sie glaubten, teilhaben zu können. Schillers Begeisterung für Freiheit und menschliche Würde, sein Idealismus und seine hochgesinnte Moral schienen leicht vereinbar mit traditionellen jüdischen Werten. 1842 konnte Gabriel Riesser behaupten, dass es stets leichter sei, zehn begeisterte Bewunderer Schillers unter seinen Glaubensgenossen zu finden als einen, der es mit Goethe hielt. Schiller wurde zum Lieblingsschriftsteller jüdischer Erzieher und Lehrer. "Die jüdische Jugend richtet sich an Schiller auf, in ihm lernte sie lesen, an ihm lernte sie denken und fühlen." Goethe war mithin nicht so populär wie Schiller.

Resümee: Weder Judenfreund noch Judenfeind

Norbert Oellers schreibt, dass Schiller zu Juden weder eine erkennbare Zuneigung noch eine erkennbare Abneigung gehabt habe. Es scheint, dass er die Menschen - im großen und ganzen - unabhängig von ihrem Herkommen, ihrer Religion und ihrem Stand beurteilte. Bedenklich sei jedoch, dass er den speziellen Nöten der Juden keine Aufmerksamkeit geschenkt hat. "Sollte er nicht gesehen haben, dass es sie gab?" Lobt Schiller das Werk und die Persönlichkeit von Moses, so ist er damit kein Judengönner, so wenig wie er ein Judenfeind ist, wenn er auf die damaligen Juden einen verächtlichen Seitenblick wirft. Wirkliche Verachtung, grundsätzliche Abneigung gegen eine große Glaubensgemeinschaft standen seinem Sinn und Geist fern. "Er ist ein Denker, der kulturhistorische Probleme erwägt, nicht immer ausgerüstet mit gediegener Kenntnis, nicht ganz frei von Vorurteilen, er besitzt weder den andere verdammenden Glaubenseifer noch religiöse Voreingenommenheit. Ihm waren die Juden wie so manchen deutschen Schriftstellern, etwas Besonderes, aber weder Freunde noch Feinde.?

Goethe stand den Juden eher skeptisch gegenüber, während Schiller ihnen gegenüber eher eine gleichgültige Haltung einnahm. Goethe und Schiller waren keine Klassiker des politischen Fortschritts. Sie waren den Juden ihrer Zeit und ihres Landes, deren Probleme ihnen wohl bekannt waren, nicht sonderlich hilfreich-anders als etwa Lessing, Herder, Jean Paul oder Wilhelm von Humboldt. Dennoch hat vor allem das Werk von Goethe und Schiller das Kulturbewusstsein der deutschen Juden in der Folgezeit besonders weit- und tiefgehend geprägt. Dabei wurde Schiller im Westen wie im Osten als Repräsentant liberaler emanzipatorischer Ideen gelesen, während Goethe - allerdings zunächst in einem kleineren Kreis von Autoren und Forschern - als Inbegriff deutscher Dichtung galt. Während in der ostjüdischen Ghettoliteratur überwiegend der "Freiheitsdichter" Schiller Spuren hinterlassen hat, gab man im assimilierten deutsch-jüdischen Kreisen bewusst dem Geistesaristokraten Goethe den Vorzug. Diese Haltung, so Will Jasper, "entsprach

dem Glauben an die Wesensverwandtschaft von Juden und Deutschen als zwei 'auserwählten' Völker, einer Beziehung, die einem 'faustischen' Verhältnis gleichkam."

Selbst am Dritten Reich hielten Juden an 'ihren' Klassikern fest und bekannten sich, solange man sie gewähren ließ, im jüdischen Kulturbund entschlossen, zur humanistischen deutschen Kultur.

Natürlich befassten sich nach 1945 überlebende Juden auch wieder mit Schiller, so Arnold Zweig 1955 anlässlich Schillers 150.Todestag, Ludwig Marcuse im Schillerjahr 1959 ebenso Hans Mayer in vielen seiner Aufsätze und Bücher. Aber eigentlich dürfte heute die Frage nach der Herkunft von Schiller-Rezipienten, ob jüdisch oder nichtjüdisch, keine Rolle mehr spielen.

Bibliographie:


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