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Martin Buber - Deuter und Mahner

Aus Anlass seines 130.Geburtstags

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber gehört zweifellos zu den wichtigsten Repräsentanten des modernen Judentums. Als maßgeblicher Deuter und Wegweiser hat er in vielschichtiger Weise das Denken im 20.Jahrhundert beeinflusst. Nach landläufiger Meinung erfreut er sich bei Nichtjuden sogar einer größeren Beliebtheit als bei den Juden selbst. Warum? Aus welchem Grund? Um diese Frage klären zu können, kommen wir nicht umhin, uns mit Bubers Leben, seinen Ansichten und seinem Werk näher zu befassen.

Geboren wurde Martin (Mordechai) Buber vor hundertdreißig Jahren am 8. Februar 1878 in Wien als Sohn einer großbürgerlichen jüdischen Familie. Sein Vater, Karl Buber, besaß Güter im galizischen Teil sterreich-Ungarns und ein Stadthaus in Wien. Als Martin Buber drei Jahre alt ist, verlässt die Mutter die Familie mit einem Liebhaber - für das Kind eine emotionale Katastrophe. Es kommt zu seinen Großeltern nach Lemberg. Sein Großvater, Salomon Buber, ist Großkaufmann und ein bedeutender Midrasch-Forscher. Mit ihm korrespondieren jüdische Theologen aus aller Welt. Von ihm lernt der Junge die rabbinische Tradition und die Haskala, die auf Moses Mendelssohn zurückgehende jüdische Aufklärung kennen, und taucht, wie einer seiner Biographen, Gerhard Wehr, anmerkt, "in jenen geographischen Raum ein, der durch die Spiritualität des jüdischen Chassidismus durchtränkt ist."

Im galizischen Lemberg, gelegen in einer östlichen Provinz des Habsburger Reiches, wächst Martin Buber also auf - mit einer polnisch und ukrainisch gemischten Bevölkerung und einer beträchtlichen Minderheit zumeist traditioneller Juden. Er besucht weltliche polnische Schulen und erhält zugleich einen soliden traditionell-jüdischen Unterricht. Seine Großeltern wiederum flössen ihm leidenschaftliche Verbundenheit mit der deutschen Literatur und der deutschen Kultur ein. Auch erweist sich der Heranwachsende als außerordentlich sprachbegabt: Hebräisch, Jiddisch, Polnisch, Deutsch und Französisch lernt er im großelterlichen Haus und in dessen Umfeld, in der Schule kommen Latein und Griechisch hinzu, später Englisch und Italienisch. Mit vierzehn Jahren kehrt er ins Haus seines inzwischen wieder verheirateten Vaters zurück, bleibt aber weiter in enger Verbindung mit den Großeltern. Später einmal sollte der Vater sagen, nachdem sein Sohn bekannt und berühmt geworden war: "Ich bin nichts als der Sohn meines Vaters und der Vater meines Sohnes."

Nach Beendigung der Schulzeit studiert Martin Buber ab 1896 Philosophie, Psychiatrie, Germanistik, Kunstgeschichte, später auch Mystik, zunächst in Wien, dann in Leipzig, Zürich und Berlin, wo er Vorlesungen von Georg Simmel und Wilhelm Dilthey hört. Sein Studium schließt er an der Franz-Josephs-Universität zu Wien 1904 mit einer Dissertation ab. Das Thema lautet: "Beiträge zur Geschichte des Individuationsproblems".

Schon während des Studiums hatte Buber mit dem Zionismus und seinem Begründer Theodor Herzl Bekanntschaft gemacht und sich zionistisch engagiert. Er rief den Bund jüdischer Studenten in Leipzig ins Leben, wurde Redakteur der zionistischen Zeitschrift "Die Welt", Mitbegründer des jüdischen Verlages und nahm an Zionistenkongressen in Basel teil. Allerdings vertrat er gegen Theodor Herzl und gegen Achad Haam den kulturzionistischen Standpunkt, der vor der politischen die geistige und moralische Erneuerung des Judentums fordert. Damit geriet Buber schon bald in Konflikt mit dem politisch-nationalen Zionismus von Theodor Herzl. Doch blieb er, trotz dieser Differenzen, bis zu seinem Tod Mitglied der zionistischen Vereinigung.

(Später hat Buber in seinem einzigen, 1949 erschienenen chassidischen Roman "Gog und Magog" sein spannungsgeladenes Verhältnis zu Herzl verschlüsselt dargestellt.)

Auf einem Zionistenkongress in Basel proklamierte Buber jedoch unverblümt: "Zionismus ist etwas anderes als jüdischer Nationalismus; denn Zion ist mehr als Nation. Zionismus ist Bekenntnis zu seiner Einzigartigkeit.. Es ist auch keine bloße an einen geographischen Ort geknüpfte Bezeichnung wie Kanaan oder Palästina, sondern es ist von jeher ein Name für etwas, was an einem geographisch bestimmten Ort werden soll; in der Sprache der Bibel: der Anfang des Königtum Gottes über alles Menschenvolk." Wehr fügt hinzu: "Damit tritt das messianisch-theokratische Element an die Stelle des ursprünglich von Herzl intendierten nationalistischen."

Zudem begegnete er in dieser Zeit seiner zukünftigen Lebensgefährtin Paula Winkler, die erst später zum Judentum konvertierte und unter dem Pseudonym Georg Munk Romane und Erzählungen verfasste und Bubers treue Wegbegleiterin wurde. Ihr gestand er einmal: "Erst als Du zu mir kamst, habe ich meine Seele gefunden." Paula wiederum hat uns Buber privat in kleinen Anekdoten nahe gebracht. Als beispielsweise der Tübinger Alttestamentler Fridolin Stier von ihr wissen wollte: "Wie ist er denn, der Martin, wenn er tagelang das gesuchte Wort nicht findet?" "Unausstehlich!" sagte sie. "Aber manchmal weckt er mich dann mitten in der Nacht:'Paula ich hab's.'" -

Zurück zum frühen Buber, der noch in den Anfängen steckte, in denen es ihm in erster Linie um eine Neubestimmung der jüdischen Identität, um eine jüdische Wiedergeburt ging, die zwar eine Rückkehr war, aber zugleich eine Umwertung und Regenerierung des Judentums miteinschloss. Vor einem äußeren Vaterland sei ein inneres Vaterland nötig, eine Neuschöpfung des Jüdischen, meinte der junge Religionsphilosoph, denn für ihn lebte die Seele des Judentums nicht in seinen Gesetzen und Institutionen, nicht in seinen offiziellen Ausdrucksformen, sondern in der unterirdischen Welt seiner reichen mystischen und mythischen Tradition. Mit Anklängen an Nietzsche, forderte er daher die Befreiung der jüdischen Seele von den Fesseln der Assimilation und den Anmaßungen der institutionalisierten Religion.

Aus Enttäuschung über die rein politisch-säkulare Ausrichtung der zionistisch-nationalen Erneuerungsbewegung unter Herzl, die für Buber zu keiner geistig-kulturellen Erneuerung führen konnte, begann ab 1904 seine Hinwendung zum Chassidismus, einer mystisch-religiösen jüdischen Bewegung, die um die Mitte des 18.Jahrhunderts entstanden war und weite Schichten des Ostjudentums erfasst hatte. So kam es zu Bubers Wiederentdeckung, Sammlung und erzählerischen Neu- und Nachgestaltung chassidischer Geschichten, die Buber nicht einfach übersetzt, sondern nachzudichten versucht hat. Viele Buber-Anhänger sehen darin eine seiner großen Leistungen. Andere dagegen, vor allem Juden, mitunter selbst Ostjuden, haben Bubers Beschäftigung mit dem Chassidismus und der jüdischen Mystik mit einer gewissen Herablassung betrachtet.

1906 erschien von Buber eine Sammlung chassidischer Erzählungen unter dem Titel "Die Geschichte des Rabbi Nachman" und 1908 "Die Legende des Baalschem". Diese trugen Buber den Ruf des Erzählers ein. 1922 und 1924 folgten weitere Bände.

Bubers Zuneigung zum Chassidismus resultierte aber nicht nur aus der Ablehnung eines rein nationalen Zionismus, sondern auch aus der durch Nietzsches Kulturkritik offen gelegten Krise des rein wissenschaftlich ausgerichteten modernen Denkens, das einen auf transzendentale Sinnzusammenhänge gerichteten Wahrheitsbegriff allem Anschein nach nicht mehr zuließ. Für Buber bestand das Versagen der abendländischen Kultur nicht zuletzt darin, dass sie mehr und mehr einem Leben mit einem der Welt entrückten Gott den Vorzug gab. Er selbst bemühte sich, der allgemeinen Entmythisierung den Chassidismus als glaubensgebundenen Mythos gegenüberzustellen, da er ihn für die allein angemessene Glaubenshaltung hielt und in ihm ein wirksames Gegenbild zur westlich modernen Welt sah. Die Erneuerung des Judentums war für Buber, wie gesagt, ein geistiger Prozess und keineswegs die Wiedererrichtung oder Stärkung einer konfessionellen oder nationalen Gemeinschaft.

Diesem Prozess galt auch das Programm seiner berühmten "Drei Reden über das Judentum", die er von 1909 bis 1911 in Prag gehalten und damit unter den Prager Studenten intensive Diskussionen um das eigene Judentum und den Zionismus ausgelöst hat.

Franz Kafka, der gleichfalls durch einen Vortrag von Buber über den jüdischen Mystizismus auf die eigene jüdische Identität aufmerksam geworden war, soll dem Religionsphilosophen 1916 und 1917 drei Erzählungen zur Veröffentlichung überlassen haben. Jedoch verhielt sich der Prager Dichter von Anfang an gegenüber Bubers Gedankengut recht kühl und ablehnend, da seiner Meinung nach bei Buber das Rhetorische, Künstliche und Ästhetisierende überwog. Seine Arbeiten tat er als "abscheuliche, widerwärtige Bücher" ab.

Ganz anders hat dagegen Buber auf Arnold Zweig gewirkt. Zweig spricht in einem Brief an Buber aus dem Jahr 1912 von seinem Nichtsein, aus dem ihn Buber herausgeholt habe. Seine Bücher hätten ihn zum Problem des Judentums zurückgeführt, die "Legende des Baal-Schem" sei für ihn geradezu ein großes inneres Erlebnis gewesen.

Mit der Wiederentdeckung der chassidischen Literatur hatte Martin Buber als eine wichtige Queller der Erneuerung das bis dahin vielfach im Westen verachtete Ostjudentum, in dem er ein großes Reservoir geistlicher, sittlicher und sozialer Energie sah, in den Blickpunkt gerückt. Viele assimilierte Juden indes, wie etwa Fritz Mauthner, Jakob Wassermann, Walther Rathenau, sahen auf Ostjuden noch lange verächtlich herab. Andere dagegen, die wie Arnold Zweig, Joseph Roth und Alfred Döblin Polen bereist hatten und dort dem Ostjudentum begegnet waren, haben das Ostjudentum wohl als eine widersprüchliche, aber in sich geschlossene kulturelle Größe begriffen, die alles aufwies, was das westliche Judentum durch Aufklärung und wissenschaftlichen Fortschritt zum großen Teil verloren hatte, nämlich Zusammenhalt, Selbstbewusstsein, geschichtliche und kulturelle Selbstdefinition. Kein Wunder, dass diese Reisenden wie Buber das Ostjudentum in seiner historischen Realität als das einzige Zeugnis eines echten jüdischen Lebens betrachteten.

Andere Buber-Experten bewerteten seine Wiederentdeckung des Chassidismus als ein rein nostalgisches und ästhetisches Phänomen, bei dem von chassidischer religiöser Praxis wie Gebetsübungen keine Rede sein könne. Gershom Scholem beispielsweise hat Bubers “diffuse Schwärmerei für das Ostjüdische” in seinen Erinnerungen als “Bubertät” glossiert.

Von 1906 bis 1916 lebte Martin Buber mit seiner Familie in Berlin und von 1916 bis 1938 in Heppenheim an der Bergstraße. (Heute existiert dort eine nach ihm benannte Schule.) Von 1916 bis 1924 gab er die deutsch-jüdische Zeitschrift "Der Jude" heraus, die ein Sprachrohr jüdischer Neubesinnung und Sammlung war. Einige Jahre darauf wurde er, zusammen mit Victor von Weizsäcker und Joseph Wittig, Herausgeber der sozialpädagogischen Vierteljahresschrift "Die Kreatur".

Ferner übte er eine Lehrtätigkeit am Freien Jüdischen Lehrhaus aus sowie an der Universität in Frankfurt/Main - hier hatte er den einzigen Lehrauftrag für Religionswissenschaft und jüdische Ethik in Deutschland inne - und initiierte Tagungen zur Erneuerung des Bildungswesens.

Ab 1924 wirkte er ebenfalls in der Schweiz, in Holland und in Deutschland in freien Lehrgruppen, nachdem er ein Jahr zuvor die religionsphilosophische Grundlegung seiner politischen und literarischen Arbeit "Ich und Du" veröffentlicht hatte, einer seiner weiteren großen Leistungen. In diesem Werk - mit dem er endgültig sein Thema gefunden hatte - unterscheidet er prinzipiell die konkrete dialogische Beziehung und Sprache im zwischenmenschlichen Verhältnis und im Verhältnis zur Natur und zu Gott von einem verdinglichten Zugriff auf die Wirklichkeit. Echte Religiosität findet Buber im Gegensatz zu einer in Gesetzen und Glaubenssätzen erstarrten Religion nur in der dialogischen Begegnung, wie sie, seiner Meinung nach, gerade die Bibel und die chassidischen Geschichten bezeugen. Robert Weltsch urteilte 1961: "Gegenüber der Bibel mehr als sonstwo ist das dialogische Prinzip der Schlüssel zum Verständnis."

Das Wesen des Menschen definierte Martin Buber gleichfalls mit dem Begriff "dialogisch", da es sich erst in der Begegnung mit dem anderen verwirklicht und der Mensch am Du zum Ich wird.

Lassen wir Buber selbst noch einmal zu Wort kommen aus seinen "Autobiographischen Fragmenten: "Menschsein heißt", so Buber, "das gegenüber seiende Wesen sein. Die Einsicht in diesen schlichten Sachverhalt ist im Gang meines Lebens gewachsen. Wohl aber sind seither allerhand andere Sätze gleichen Subjekts und ähnlicher Konstruktion geäußert worden, und ich halte manche davon durchaus nicht für unrichtig; mein Wissen geht nur eben dahin, dass es dies ist, worauf es ankommt.. Menscheneigentümlich aber ist, dass einer je und je des Anderen als dieses ihm gegenüber Bestehenden inne werden kann, dem gegenüber er besteht."

"Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit.. ich führe ein Gespräch", sagte Buber einmal - ein Satz, der als Wegweiser zu einer Annäherung an sein geistiges Leben und Werk stehen könnte.

"Ich glaube", so äußerte sich Buber nach dem Zweiten Weltkrieg , "trotz allem, dass die Völker .. in ein echtes Gespräch kommen können. Ein echtes Gespräch ist eines, in dem jeder der Partner des anderen, auch wo er in einem Gegensatz zu ihm steht, als diesen existenten Partner wahrnimmt, bejaht und bestätigt; nur so kann der Gegensatz zwar gewiss nicht aus der Welt geschafft, aber menschlich ausgetragen und der Überwindung zugeführt werden." Dass Buber der jüdisch-christliche Dialog ebenso wie der israelisch-arabische besonders am Herzen lag, versteht sich nach diesen Sätzen fast von selbst. Gerade der Jahrhundertkonflikt um Palästina erschien ihm deshalb weder "tragisch" noch unlösbar. Davon gleich mehr.

Das dialogische Prinzip beherrschte auch Bubers Konzeption der Erwachsenenbildung, die er zunächst mit dem jüdischen Philosophen und Theologen Franz Rosenzweig, mit dem ihn eine intensive und lebensbestimmende Freundschaft verband, am gemeinsam gegründeten Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt am Main umgesetzt hat, eine Arbeit, die er dann nach gleichem Muster ab 1933 als Leiter der Mittelstelle für Erwachsenenbildung in ganz Deutschland und schließlich nach seiner Emigration in Palästina ausübte.

Ab 1925 unternahm Buber mit Rosenzweig eine neue deutsche Übersetzung der Bibel. Man erinnere sich: Vor mehr als hundert Jahren hatte Moses Mendelssohn die Bibel übersetzt, um den in Deutschland lebenden Juden die deutsche Sprache und Kultur näher zu bringen und um die kulturelle Kluft zwischen Juden und Deutschen in den frühen Stadien der Akkulturation überbrücken zu helfen. Bubers und Rosenzweigs Projekt drückte dagegen eine umgekehrte Richtung aus. Ihre Übersetzung sollte Juden dazu dienen, die abgebrochenen Bande mit ihrer eigenen Vergangenheit zu erneuern und ihre jüdische Identität neu zu bestätigen und zu festigen. Auf diese Weise wollten sie aber auch ihren dialogischen Anspruch abermals hörbar machen.

"Es gilt", so äußerte sich Buber zu dem Unternehmen, "in bibeltreuer Glaubensaufgeschlossenheit unseren heutigen Situationen dialogisch verantwortend standzuhalten." Über die Grundlagen der Übersetzung legten beide in dem Gemeinschaftswerk "Die Schrift und ihre Verdeutschung" Rechenschaft ab.

Nach Rosenzweigs Tod am 10.Dezember 1929 - er starb mitten in der Arbeit, als die beiden Freunde bei Jesaja angekommen waren - setzte Buber die Bibelübersetzung fort und schloss sie im Februar 1961 ab. "Für wen wird diese Übersetzung nun bestimmt sein, in welchem Medium wird sie wirken?" fragte damals skeptisch Gershom Scholem, Bubers Freund und Kritiker. "Die Juden, für die Sie übersetzt haben, gibt es nicht mehr. Die Kinder derer, die diesem Grauen (der nationalsozialistischen Herrschaft) entronnen sind, werden nicht mehr Deutsch lesen."

So ist es auch gekommen, die Bibelübersetzung hat wohl viel Bewunderung erregt, doch ist sie weder im Christentum noch im Judentum ernsthaft übernommen worden. -

Nach dem Beginn des Nazi-Regimes verlor Buber seine Honorarprofessur an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt, das heißt, er wartete den Entzug der offiziellen Lehrbefugnis gar nicht erst ab - dieser erfolgte im Oktober 1933 -, sondern legte seine Professur schon vorher nieder.

Als unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, die Buber als "Erzjuden" zu bezeichnen pflegten, der "Herr Professor", wie er in seinem Wohnort Heppenheim an der Bergstraße allgemein genannt wird, spazieren geht, stellt sich ihm plötzlich ein Mann in den Weg, fixiert ihn und sagt: "Na, du Jud!" Ohne Zögern antwortet Buber: "Na, du blöder Kerl."

In den folgenden Jahren widmete er sich bis zu seiner Emigration im Jahr 1938 ganz der Erwachsenenbildung der in Deutschland noch verbliebenen Juden, die unter dem wachsenden Druck erst lernen mussten, ihre jüdische Identität zu finden. Diese Kulturarbeit hat sicher manchem das Rückgrat gestärkt und Überlebenshilfe vermittelt. "Wenn wir unser Selbst wahren", meinte Buber, "kann nichts uns enteignen. Wenn wir unserer Berufung treu sind, kann nichts uns entrechten. Wenn wir mit Ursprung und Ziel verbunden bleiben, kann nichts uns entwurzeln, und keine Gewalt der Welt vermag den zu knechten, der in der echten Dienstbarkeit die echte Seelenfreiheit gewonnen hat."

Im Ende September 1933 erschienenen ersten Almanach des Schocken Verlages schrieb er: "Der jüdische Mensch von heute ist der innerlich ausgesetzteste Mensch unserer Welt. Die Spannungen des Zeitalters haben sich diesen Punkt ersehen, um an ihm ihre Kraft zu messen. Sie wollen erfahren, ob der Mensch ihnen noch zu widerstehen vermag, und erproben sich am Juden. Wird er standhalten? Wird er in Stücke gehen? Sie wollen durch sein Schicksal erfahren, was es um den Menschen ist. Sie machen Versuche mit dem Juden, sie versuchen ihn. Besteht er's? ... Etwas ist geschehen. Statt des einen Wesens, an dem die Spannungen des Zeitalters sich auslassen wollten, sind zwei zu schauen - ein zerfallendes und ein unbezwingliches. Eins, das Licht ausgibt wie ein phosphoreszierender Sumpf, und eins, das Licht ausgibt wie der Orion. Aber dieses steht für jenes ein. Dieses sagt von jenem: Das bin ich. Es streckt sich über es hin, es deckt es, es duldet, was zu dulden ist. Und wenn eure Probe bestanden sein wird, Spannungen des Zeitalters, werden nicht mehr zwei da sein, sondern einer, der Überwinder."

Hehre Worte und Gedanken - ohne Zweifel, aber vermochten sie jene zu trösten, denen der Tod in der Gaskammer unmittelbar bevorstand?

Vor dem Novemberpogrom 1938 emigrierte Buber nach Jerusalem. Hier übernahm er an der Hebräischen Universität eine Professur für Sozialpsychologie, wobei er, da ihm Hebräisch von Kindheit an vertraut war, keine Sprachprobleme hatte. Auch hier war er unermüdlich tätig und engagiert. So errichtete er im neu gegründeten Staat Israel im Jahre 1949 das gewünschte "Seminar für Erwachsenenbildung", das er bis 1953 leitete und verfasste nach und nach seine Werke, die ab 1945 besonders in den USA und in Westeuropa bei Bibelexegeten und Interpreten jüdischer Spiritualität auf großes Interesse stießen.

Wie aber hat er über den Holocaust geurteilt? Unter Hinweis auf Hiob sprach er in diesem Zusammenhang von Gottes verborgener Anwesenheit. "Nichts ist erklärt, nichts ausgeglichen, das Unrecht ist nicht Recht geworden und die Grausamkeit nicht Milde. Nichts ist geschehen als dass der Mensch wieder Gottes Anrede vernimmt."

Ohne Deutschland von seinen Verbrechen gegen die Menschheit und das jüdische Volk zu entlasten, war Buber der Ansicht, dass die Wunden, die die Shoah geschlagen hatte, nur heilen könnten, wenn man die geistige Tradition des deutschen Humanismus stärkte, die ebenfalls ein Opfer des Nationalsozialismus geworden sei.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Martin Buber einer der ersten Juden, die Versöhnung mit dem deutschen Volk suchten. Schon 1947 besuchte er wieder Europa und verbrachte fortan zusammen mit seiner Frau Paula alljährlich mehrere Wochen oder gar Monate in Deutschland.

In Bubers Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Frankfurt 1953, die den Titel trägt: "Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens" standen die beiden Sätze, die seither in die Welt gegangen sind, einmal der Satz der Schuldbestätigung: "Und was bin ich, dass ich mich vermessen könnte, hier zu vergeben?"- und dann der Satz des Erbarmens: "Mein der Schwäche des Menschen kundiges Herz weigert sich, meinen Nächsten deswegen zu verdammen, weil er es nicht über sich vermocht hat, Märtyrer zu werden."

Dass nach dem großen Judenmord Forschungen zum deutschen Judentum wieder möglich wurden, ist ebenfalls Bubers Verdienst: Zehn Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager wurde 1955 in Bubers Jerusalemer Wohnung das Leo-Baeck-Institut gegründet.

Eine weitere Aufgabe, die sich Buber, der mit seiner Familie vor der Gründung des Staates Israel in einem meist von Arabern bewohnten Viertel Jerusalems gelebt hat, schon früh stellte und die heute immer noch unabgegolten und mittlerweile womöglich noch aktueller geworden ist, war die Versöhnung zwischen Juden und Arabern.

Schon beizeiten forderte er die jüdischen Siedler in Palästina zur Verständigung mit den Arabern auf, fand aber nur geringen Zuspruch. Aber er gab nicht auf.

So leitete er zusammen mit dem aus Kalifornien stammenden Rektor der Hebräischen Universität in Jerusalem, Judah Leon Magnes, den Ihud (hebräisch Einheit). Dieser war eine 1942 in der Nachfolge von Brit Schalom geschaffene Organisation, die sich während des Zweiten Weltkrieges und danach für die Bildung eines binationalen, paritätisch verwalteten jüdisch-arabischen Gemeinwesens in einem ungeteilten Palästina einsetzte. Dieser Zielrichtung ist auch Bubers 1983 neu aufgelegte Buch "Ein Land und zwei Völker" gewidmet.

Die Gründung eines jüdischen Staates Israel gehörte zwar nicht zu seinen erklärten Zielen. Als aber ab 1948 an dieser Tatsache nicht mehr zu rütteln war, hat er das neue jüdische Gemeinwesen dann doch akzeptiert und nach der Gründung des israelischen Staates und der Beendigung des ersten israelisch-arabischen Krieges 1948 sein Verhältnis zu dem neuen jüdischen Staat wie folgt definiert: "Das Gebot, dem Geist zu dienen, ist jetzt von uns in diesem Staat von ihm aus zu erfüllen".

Später empörte er sich nach der Ermordung des Grafen Folke Bernadotte, dem Vermittler im arabisch-jüdischen Krieg, durch jüdische Extremisten: "Schändliche Mordtaten werden unserem Volke nur Schaden und Verachtung einbringen. Es wird nicht gelingen, eine Nation einzuschüchtern, die sich rühmt, niemals vor einer Drohung zurückgewichen zu sein... Ein im Namen des Volkes begangener Mord zersetzt das Leben und die Lebenshoffnung eben dieses Volkes.."

Als er 1951 den Goethepreis der Universität Hamburg persönlich entgegen nahm, wurde diese Ehrung von Juden in der ganzen Welt als Affront empfunden, offensichtlich auch deshalb, weil Buber die Preissumme der Monatszeitschrift "Ner" gespendet hat, die ebenfalls für eine Verständigung zwischen Juden und Arabern eintrat.

1953 griff Buber die vorgesehene Gesetzgebung zur Enteignung arabischen Landbesitzes an, die angeblich aus Sicherheitsgründen erfolgte. Im gleichen Jahr töteten israelische Soldaten bei einer Vergeltungsaktion im jordanischen Ort Kibya sechzig Männer, Frauen und Kinder. Fünf Jahre darauf fand Buber in New York für solche Untaten der Israelis Worte der harschen Kritik, wobei er dem angewandten Gesetz der Vergeltung jede moralische Berechtigung absprach. Sogar Ben Gurion attackierte er scharf. Am Eichmann-Prozess in Jerusalem hielt er gleichfalls mit seiner Kritik nicht zurück und verlangte, das Verfahren gegen Eichmann vor einem internationalen Gericht durchzuführen. Er suchte Ben Gurion in dessen Wohnung auf und bat ihn, mit Hinweis auf das Gebot "Du sollst nicht töten", das Todesurteil in lebenslange Haft umzuwandeln - wie wir wissen - vergeblich.

Eine seiner letzten Anweisungen hatte bezeichnenderweise darin bestanden, die von ihm als Stipendium für arabische Studenten ausgesetzte Summe zu verdoppeln.

Noch ein Jahr vor seinem Tod hat er mit dem Ministerpräsidenten Levi Eschkol einen Briefwechsel geführt, um das Araberproblem einer Lösung zuzuführen und um für eine Verständigung zwischen Israel und den arabischen Völkern zu werben, "solange noch die Möglichkeit dazu besteht. Damit ein so großes, fast präzedensloses Werk gelingt, ist unerlässliche Voraussetzung, dass geistige Vertreter der beiden Völker miteinander in ein echtes Gespräch kommen, in dem sich gegenseitige Aufrichtigkeit und gegenseitige Anerkennung verbinden." Eine Mahnung, die heute noch ihre Gültigkeit hat wie vor vierzig Jahren.

Seiner Utopie eines jüdisch-arabischen Bundes hat Martin Buber sein Leben lang angehangen. Bis an sein Ende blieb der jüdische Religionsphilosoph das mahnende, oftmals auch unbequeme Gewissen des Staates Israel. Ferner ließ er Zeit seines Lebens nicht ab, Politik generell unter moralischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Buber, der sich schon in seiner Jugend mit Kierkegaard beschäftigt und unter seinem Einfluss über die Kategorien des Ethischen und Religiösen in ihrem Verhältnis zueinander nachzudenken begonnen hatte, mahnte immer wieder, dass man sich der Verantwortung für die ethischen Gebote und ihrer Verteidigung nicht entziehen dürfe. -

Nun zurück zu unserer Ausgangsfrage. Was hat Bubers Rezeption im Judentum beeinträchtigt, während er Nichtjuden besonders in Deutschland als einer der wichtigsten Vertreter des Judentums galt und immer noch gilt? Ein Grund war sicherlich seine Ablehnung des normativen Judentums. So groß seine Wirkung war, so hatte er doch im "eigenen Land" und bei seinem "eigenen Volk" wegen seines Bildes vom eigentlich Jüdischen erhebliche Schwierigkeiten. Allerdings haben auch politische Gründe eine Rolle gespielt. Die orthodoxen Kreise hielten ihm vor, das Gesetz nicht treu zu achten, und andere kritisierten seine Haltung in der Araberfrage. Dennoch stehen seine Texte heute sowohl in israelischen als auch in arabischen Schulbüchern.

Dass Bubers Haltung bei Juden oft auf Widerspruch stieß, erklärte Gershom Scholem einst mit Bubers "ketzerischer" Auffassung vom Judentum, die dazu geführt habe, dass sich die Jugend, die zunächst einen Propheten in ihm gesehen hatte, sich in Palästina von ihm abwandte. So kam es, dass im einstigen Palästina, dem späteren Israel, Buber anfangs keineswegs einer der einflussreichsten geistigen Führer der Jugend geworden ist. Obendrein hatten seine studentischen Hörer nicht selten Schwierigkeiten mit seinem hochgestimmten Sprachstil, ein Problem, das über Jahre bestehen blieb. Viel Verständnis für Martin Buber und sein Werk zeigte allerdings auch ein Theodor W.Adorno nicht. Sah er in ihm doch nicht mehr als einen "Religionstiroler".

Andere Philosophen und Künstler fühlten sich dagegen von Bubers Charisma angezogen, wie etwa Albert Schweitzer, Max Brod, Theodor Däubler, Franz Werfel, Rudolf Borchardt, Stefan Zweig und Hermann Hesse, der Buber sogar für den Nobelpreis vorgeschlagen hat.

Geehrt wurde der jüdische Religionsphilosoph mehrfach: 1953 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (auch diesen Preis soll er für die jüdisch-arabische Verständigung gestiftet haben), 1963 mit dem niederländischen Erasmus-Preis, 1964 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg, und am Ende seines Lebens mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Jerusalem. Die beiden letzten Ehrungen hat Paula Buber nicht mehr miterlebt. Sie starb 1959 in Venedig und liegt dort auf dem Jüdischen Friedhof begraben.

Martin Buber starb am 13. Juni 1965 in seinem Heim in Jerusalem-Talbie. Bei der Aufbahrung in der hebräischen Universität hatte man die neue Staatsflagge über den Sarg gebreitet, und arabische Studenten waren es, die Rosen, Nelken und Gladiolen auf diese Flagge legten. Martin Buber erhielt ein würdiges Begräbnis, das deutlich macht, "dass Israel den nonkonformistischen Mann des Geistes trotz aller Meinungsverschiedenheiten doch tief verehrte." (Grete Schaeder)

Nachzutragen bleibt, dass der ernste Gelehrte Martin Buber Heiterkeit und Humor durchaus geschätzt hat. Das Gebet war ihm wohl wichtig, aber es sollte "nicht in Pein und Buße, sondern in großer Freude geschehen. Freude allein ist wahrhafter Gottesdienst." Den Humor soll der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber dagegen den "Milchbruder des Glaubens" genannt und erklärend hinzugefügt haben: "Wenn ein Mensch nur Glauben hat, steht er in Gefahr, bigott zu werden. Hat er nur Humor, läuft er Gefahr, zynisch zu werden. Besitzt er aber Glaube und Humor, dann findet er das richtige Gleichgewicht, mit dem er das Leben bestehen kann." Für einen Martin Buber war der Humor ohne den Hintergrund des Glaubens einfach nicht denkbar.

Der Aufsatz erschien in der Zeitschrift “Tribüne. Zum Verständnis des Judentums” in Heft 185, 1.Quartal 2008.


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