zurück vor auf Inhaltsverzeichnis


Wie urteilte Goethe über den Humor von Jean Paul und von anderen Persönlichkeiten?

Über den Humor hat sich Goethe zunächst über Jean Paul, der sich vor allem durch seine Romane "Hesperus" und Quintus Fixlein in die Herzen vieler Leser geschrieben hatte, auseinandergesetzt. Allerdings hat sich der Weimarer Dichterfürst nie zu der Bewusstseinshaltung eines Humoristen, die sich in der Freiheit des Subjekts und in der Skepsis gegenüber dem Objekt äußert, bekannt. Das trennt ihn von Jean Paul und anderen seiner Art. Die Voraussetzungen zur Entstehung ihres humoristischen Weltbildes treffen auf ihn nicht zu. Jean Paul, den viele für den größten Humoristen der deutschen Literatur halten, hat es so formuliert: "Der Humor als das umgekehrte Erhabene, vernichtet nicht das Einzelne, sondern das Endliche durch den Kontrast mit der Idee."

Später lehnte Goethe den Humoristen Jean Paul schroff ab. Er sei das "personifizierte Alpdrücken der Zeit", befand er. Als Jean Paul von Oktober 1798 bis September 1800 in Weimar lebte, unternahmen Goethe und Schiller daher nichts, um ihn persönlich näher kennen zu lernen.

Goethe erhob gegen den Humor Einspruch, wo dieser die Form oder Geschlossenheit der Stimmung sprengte. Der Realist und Klassiker negierte die romantische Humorauffassung. Daher hat dann auch der Klassiker Goethe den romantischen Humor, wie er namentlich durch Jean Paul verkörpert wird, in seiner mittleren Lebenszeit lange abgelehnt. Erst später im Alter ist er Jean Paul wieder gerecht geworden.

Anders war dagegen Goethes Stellungnahme zu einem anderen sehr einflussreichen Humoristen des 18.Jahrhunderts, zu dem Engländer Lawrence Sterne (Pseudonym Yorik). Sein Humor, so Goethe, sei "unnachahmlich" und unvergleichlich, weil er stets bestrebt sei, voll Behagen mit Lachen die Wahrheit zu sagen.

"Merkwürdig ist noch hierbei, dass Yorik sich mehr in das Formlose neigt und Goldsmith ganz Form ist, der ich mich denn auch ergab, indessen die werten Deutschen sich überzeugt hatten, die Eigenschaft des wahren Humors sei das Formlose", schreibt Goethe an Zelter am 25.12.1829.

Goethes Vergleich zwischen Sterne und Oliver Goldsmith fiel zugunsten des letzteren aus. Jener neige mehr in das Formlose, meinte der Dichter, während Goldsmith ganz Form sei. Gleichwohl war für Goethe Yorik Sterne "der schönste Geist, der je gewirkt hat, wer ihn liest, fühlt sich sogleich frei und schön; sein Humor ist unnachahmlich, und nicht jeder Humor befreit die Seele."

In der "Campagne in Frankreich 1792" liegt ein Zeugnis vor, das den Gegensatz der Deutschen zum Engländer aus der Wertherzeit beleuchtet. In Deutschland sei, so Goethe, die Wertherstimmung unter dem Einfluss Yorik-Sternes mächtig geworden, doch habe in Deutschland die zärtlich leidenschaftliche Askese in eine leidige Spielart ausarten müssen, "da uns die humoristische Ironie des Briten nicht gegeben war." An Sterne bewunderte Goethe ferner, dass sich dieser über Pedanterie und Philisterei emporgehoben habe. Niemand habe sie so trefflich eingesehen und mit solcher Heiterkeit geschildert wie Sterne. Jean Paul sei genau das Gegenteil, behauptete Goethe und machte ihm den Vorwurf, dass er sich mit Kleinigkeiten gequält und Wortklauberei getrieben habe. Aber gerade die Freude am Kleinen, so möchte man an dieser Stelle einwenden, das behagliche Verweilen bei den bescheidensten Daseinsformen gehört zum Humor. Goethe dagegen bewegte sich in seinen frühen Jahren noch in rastloser Tätigkeit, "als Stürmer und Dränger des Intellekts", als "kühner Sucher nach dem Weltgeheimnis." Karl Strecker ist der Auffassung, dass ihm deswegen der eigentliche, heimliche Kern der Humorerscheinung unverständlich geblieben sei.

Bei der näheren Erörterung von Shakespeares Welt sind es gerade ihre humoristischen Züge, bei denen er in "Dichtung und Wahrheit" länger verweilt. In den "Xenien" bekennt er: "Ja, ein derber und trockener Spaß, nichts geht uns darüber." Im Alter wurde Goethe Shakespeare gegenüber dann wieder zurückhaltender.

Unter den Humoristen des 16.Jahrhunderts, jener "herrlichen Epoche", die des jungen Goethe Anteil und Bewunderung erregte, bevorzugte er Rabelais und betrachtete ihn als einen seiner Freunde.

Am 26.November 1807 waren Goethe und Riemer bei Knebel. Sie "waren ganz munter und lustig." "In die letzte Stimmung setzten uns hauptsächlich des altdeutschen Fischarts Possen nach Rabelais, den wir lasen." So berichtete Knebel seiner Schwester Henriette. Ein ähnliches Verhältnis wie zu Rabelais hatte Goethe zu Cervantes. Seine Wertschätzung des Spaniers stammt aus der Zeit des Sturm und Drang. Aus dem Jahr 1805 erfahren wir, dass die Cervantesschen Novellen ihm Freude machten. 1985 begrüßte er den Gedanken der Kölner Freunde, "die Abenteuer des Don Quixote zur Fastnachts-Lust vorzuführen."

Der humoristische Zug machte ihm auch die nordische Mythologie "höchst lieb und bemerkenswert." Aus dem gleichen Interesse wandte er sich den indischen Fabeln zu.

Molière schätzte er ebenfalls über alle Maßen und räumte seinem Humor den gleichen Rang ein wie seiner Tragik. Menander wiederum war der einzige Grieche, den er Molière an die Seite setzte. Über E.T.Hoffmanns "Schriften zur Literatur" äußerte er sich wie folgt: "Dass eine gewisse humoristische Anmut aus der Verbindung des Unmöglichen mit dem Gemeinen, des Unerhörten mit dem Gewöhnlichen entspringen könne, davon hat der Verfasser der neuen Melusine ein Zeugnis zu geben getrachtet."

"Was Herdern betrifft, so schreibt sich das Übergewicht seines widersprechenden, bittern, bissigen Humors gewiss von seinem Übel und den daraus entspringenden Leiden her."

Auch Justus Möser, der sich in seiner Schrift "Harlekin oder Verteidigung des Grotesk-Komischen für den verbannten Hanswurst eingesetzt hatte, war er zugetan, nicht zuletzt wegen seines "so gründlichen als frohen" Humors.

Goethe bekannte ferner, dass von den Dichtern seines Lieblingsjahrhunderts, dem 16.Jahrhundert, in dem auch Götz und Faust ihre Wurzeln haben, ihm Hans Sachs am nächsten lag- nicht von ungefähr, war doch das Volkstümliche von jeher eine Stätte des Humors. Auch in der Mundartliteratur ist der Humor im reichen Maße vertreten. Goethe hat viel daraus geschöpft. Humoristische Balladen wie das "Hochzeitslied", der "Getreue Eckart" und der "Rattenfänger" gestalten Sagenstoffe. Für die Walpurgisnacht sind ebenfalls viele volkstümliche Verstellungen benutzt worden.

Seinen theoretischen Leitstern fand Goethe allerdings erst in Italien, in der Kunstansicht der Klassik. In der Beschreibung des römischen Karnevals glaubte Goethe das Muster objektiver Darstellungskunst geliefert zu haben.

Da Goethe zu der Auffassung gelangt war, das Klassische sei das Gesunde, das Romantische aber das Kranke, konnte er Kleists Humor im "Zerbrochenen Krug" nicht gerecht werden. Wo der Humor die Geschlossenheit der Form oder die Einheit der Stimmung gefährdete, da nahm Goethe eine ablehnende Haltung ein. Er meinte: "Ich spaßte wohl am Abend gerne. Wenn nur der Tag nicht so ernsthaft wär'".

Dagegen rühmte er den Humor der Kinder uneingeschränkt, nachzulesen im "Werther", der doch offensichtlich in vielem sein Alter Ego war:

"Ja, meinem Herzen sind die Kinder am nächsten auf der Erde. Wenn ich ihnen zusehe und in dem kleinen Dinge die Keime aller Tugenden, aller Kräfte sehe, die sie noch einmal nötig brauchen werden, wenn ich in dem Eigensinne künftige Standhaftigkeit und Festigkeit des Charakters, in dem Mutwillen guten Humor und Leichtigkeit, über die Gefahren der Welt hinzuschlüpfen, erblicke, alles so unverdorben, so ganz!-immer, immer wiedehol ich dann die goldenen Worte des Lehrers der Menschen: Wenn ihr nicht werdet wie eines von diesen!"

Mehr noch als sein Verhältnis zum Humor ist Goethes Verhältnis zur Ironie starken Schwankungen unterworfen. Er lobt sie bei Sterne und Goldsmith und tadelt bei Rabener die allzu häufige "direkte Ironie..,welches rednerische Mittel nur höchst selten angewendet werden sollte. Obwohl aus Goethes Sprachgebrauch nicht immer klar hervorgeht, was er zu verschiedenen Zeiten als Ironie angesehen hat, "welche von ihrem zartesten Gipfel bis zu ihrer plattesten Base hundert Formen darbietet" (an Carl August am 5.10.1816) ist seine Ironie im Erzählwerk, besonders in "Wilhelm Meister" und in den "Wahlverwandtschaften", ein überaus dezentes Mittel, der Vieldeutigkeit des Lebens durch Gestaltung verschiedener Positionen und Aspekte gerecht zu werden. Sie wird deutlicher besonders in den Mephisto-Szenen des "Faust" und nähert sich im "West-östlichen Divan" leicht der romantischen Ironie an.


zurück vor auf uhomann@UrsulaHomann.de Impressum Inhaltsverzeichnis