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Welche Rolle spielt der Humor in Goethes Leben?

Goethe hat in einem Vers zum Ausdruck gebracht, welche Eigenschaften er seinen Eltern und wem von beiden er seine humorvolle Seite verdankt:

"Vom Vater hab ich die Statur, /
Des Lebens ernstes Führen, /
Von Mütterchen die Frohnatur /
Und Lust zu fabulieren."

Da Goethes Humor mit seinen vielen Schattierungen zweifellos ein Erbteil seiner Mutter war, wollen wir uns auch ihr kurz zuwenden.

Die Mutter Catharina Elisabeth (bekannt wurde sie unter dem Namen Aja) behielt ihr Leben lang ein kindlich-fröhliches Herz. Obgleich auch sie viel Verdrießliches erlebte, gewann bei ihr der Humor immer wieder rasch die Oberhand. In Gesellschaft mit anderen verbreitete sie Behagen um sich her, auch durch ihre Gabe, zu erzählen und zu erfinden. "Ich habe die Gnade von Gott", sagte sie als Fünfzigerin, "dass noch keine Menschenseele missvergnügt von mir weggegangen ist. Ich habe die Menschen sehr lieb, und das fühlt alt und jung, gehe ohne Prätention durch diese Welt, bemoralisiere niemand, suche immer die guten Seiten auszuspähen, überlasse die schlimmen dem, der den Menschen schuf und der es am besten versteht, die scharfen Ecken abzuschleifen - und bei dieser Methode befinde ich mich wohl, fröhlich und vergnügt."

In der Tat, strahlte Goethes Mutter viel Lebenskraft und Lebensfreude aus, viel Gottvertrauen und Optimismus, obwohl ihr schwere Jahre keineswegs erspart blieben - fünf ihrer Kinder starben zwischen 1756 und 1777; sie erlebte Krieg und Einquartierung in den neunziger Jahren. "Ihre Haltung, das Leben zu nehmen, wie es eben ist und nie die Hoffnung aufzugeben", schreibt Karl Otto Conradi in seiner Goethe-Biografie, "war nicht zu erschüttern."

Sie selbst meinte am 1.Januar 1793: "Mein Befinden ist Gott sey (Dank) gantz gut, ich bin wohl und auch vergnügt - trage, was ich nicht ändern kann, mit Gedult - warte auf beßre Zeiten, ängstige mich aber nicht vor der Zeit".

Am wachsenden Ruhm ihres Sohnes - für sie war und blieb er ihr Hätschelhans - nahm sie lebhaft Anteil und richtete 1777 an Goethes Diener Philipp Seidel, den sie dem Sohn mit nach Weimar gegeben hatte, damit er Wolfgang als Sekretär, Kammerdiener und "Schutzgeist" zur Seite stehe, folgende Zeilen: "Euer Brief ..hat uns sehr gefreut, insbesondere, dass der Dichter gesund und guten Hourmors ist.."

Sie sei "lachlustig" und erzählfreudig gewesen und habe dem Leben sogar an der Seite ihres pedantischen Mannes immer wieder schöne Seiten abzugewinnen gewusst, erfahren wir aus Dagmar von Gersdorffs Buch über Goethes Mutter und auch, dass sie mit großem Talent, Geschichten zu erfinden gewusst hat. "Sie war eine Erzählerin von Rang, die ihre Einfälle aus einem unerschöpflichen Fundus bezog und nicht nur 'Lust zu fabulieren' hatte, sondern damit auch Freunde gewann und ihren Zuhörerkreis fesselte."

Christiane Vulpius, Goethes Lebensgefährtin oder wie seine Mutter sich ausdrückte seinem "Bettschatz", war sie von Anfang an herzlich zugetan. Ihren Sohn aber ließ sie wissen: "Du kannst Gott danken! So ein liebes - herrliches unverdorbenes Gottesgeschöpf findet man selten.."

Gertrud Bäumer wiederum berichtet von einer für Frau Aja charakteristischen Begebenheit. 1775 hatten sich bei Goethe die beiden Grafen Christian und Friedrich Stolberg, Mitbegründer des Göttinger Hainbundes, eingefunden. Man trank und redete in wilden Worten von "Tyrannenhass" und "Tyrannenblut". Daraufhin holte Goethes Mutter einige Flaschen edlen Weins aus dem Keller und präsentierte ihn den jungen Herren mit folgenden Worten: "Hier ist das wahre Tyrannenblut! Daran ergötzt Euch, aber lasst mir Eure Mordgedanken aus dem Haus!"

Auch bei Goethe finden sich allenthalben in Briefen und anderen Aufzeichnungen Äußerungen über 'guten Humor' und verschiedenartigste Stimmungen, so auch über "üblen", "schlimmen", "so gründlichen als frohen Humor". Nicht selten steht in Goethes eigenem Sprachgebrauch Humor für "Laune jedweder Art." In "Dichtung und Wahrheit" spricht Goethe von "humoristischer Trockenheit" so wie wir heute von trockenem Humor sprechen, ohne uns daran zu erinnern oder überhaupt zu wissen, dass 'humor' im Lateinischen Flüssigkeit oder Feuchtigkeit bedeutet.

In seinen autobiografischen Schriften spricht er an einer Stelle auch "von seinem ärgerlich guten Humor". Goethe verwendet die Worte Humor und humoristisch ferner in folgenden Bedeutungen: für vorübergehende Stimmung, für drollig, kurios, wunderlich, für artig, im Sinne von witzig, von Spaß, für grotesk, stilles Behagen, Einfall, Geschick, Überlegenheit, von glücklicher Veranlagung, Ironie und spricht mitunter auch von großem Humor als Lebensgefühl. In allen Epochen seines Lebens brauchte er die Wörter bald in diesem, bald in jenem Sinne. Doch hat er sich nie in eingehenden systematischen Erörterungen über den Humor ausgelassen. Vor allem der junge Goethe beurteilte den Humor nicht von theoretischen Erwägungen aus.

Wie sein poetisches Lebenswerk Gelegenheitsdichtung ist, so sind auch seine Auslassungen über Humor Gelegenheitsprodukte. Demzufolge ist seine Stellungnahme zum Humor aus vereinzelten Briefen, Gesprächen, Tagebuchaufzeichnungen, Rezensionen, Reflexionen und Sprüchen, verstreuten Äußerungen, aus Bearbeitungen und aus seinem eigenen poetischen Schaffen zu erschließen. Wer die Mühe auf sich nimmt, merkt schnell, wie ambivalent Goethe über den Humor gedacht hat - je nach Lust und Laune.

"Der Humor entsteht, wenn die Vernunft nicht im Gleichgewicht mit den Dingen ist, sondern sie entweder zu beherrschen strebt, und nicht damit zu Stande kommen kann: welches der ärgerliche oder üble Humor ist; oder sich ihnen gewissermaßen unterwirft und mit sich spielen lässt, salvo honore: welches der heitre Humor oder der gute ist. Sie lässt sich gut symbolisieren durch einen Vater, der sich herablässt, mit seinen Kindern zu spielen, und mehr Spaß einnimmt als ausgibt. In diesem Falle spielt die Vernunft den Goffo, im ersten Fall den Moroso." Anmerkung: Goffo und Moroso sind Masken des italienischen Stegreifspiels und bedeuten so viel wie Tollpatsch und Murrkopf. Der Goffo ist mit einer lustigen Person zu vergleichen, während, laut Brednow, im anderen Falle der überlegenen Verstandestätigkeit ein Moroso, ein Verdrießlicher im gleichen Spiel zu gelten habe.

"Entscheidend ist somit in Goethes Sinne keineswegs das Überwiegen einer Komik, eines Spaßes, als vielmehr das Auseinanderfallen bei Versagen der regulierenden Verstandestätigkeit, das Verlieren der optimalen harmonischen Ausgewogenheit einander widerstrebender Kräfte."

Ein weiteres Zitat aus Maximen und Reflexionen lautet: "Der Humor ist eins der Elemente des Genies; aber sobald er vorwaltet, nur ein Surrogat desselben; er begleitet die abnehmende Kunst, zerstört, vernichtet sie zuletzt."

Der Humor ist, "selbst ohne poetisch zu sein, .. eine Art von Poesie und erhebt uns seiner Natur nach über den Gegenstand", schrieb Goethe am 31.Januar 1798 an seinen Dichterfreund Friedrich Schiller.

Reiner Humor jedoch als harmloses, gutwilliges, verständnisvolles Lächeln über menschliche Schwächen und Befindlichkeiten, ohne aggressive oder belehrende Absichten, aus einer Haltung erhabenen Darüberstehens und heiterer Gelassenheit findet sich bei Goethe höchst selten, meint Gero von Wilpert.

Im Alter, auch unter dem Eindruck der vielfach gequält wirkenden sogenannten humoristischen Literatur seiner Zeit, verurteilte Goethe das Humoristische, das "keinen Halt und kein Gesetz in sich selbst" habe - so Goethe an Zelter am 30.10.1808 - als Kennzeichen der Philister, der Pseudo-Genies und der niederen Literatur, das die Kunst zerstöre und vernichte und sprach ihm Vernunft, Gewissen und Verantwortungsgefühl ab.

"Wer untersteht sich denn Humor zu haben, wenn er die Unzahl von Verantwortlichkeiten gegen sich selbst und andere erwägt, die auf ihm lasten?" fragte Goethe Friedrich von Müller am 6.Juni 1824 und fuhr fort: "Nur wer kein Gewissen oder keine Verantwortung hat, kann humoristisch sein.. Freilich humoristische Augenblicke hat wohl jeder, aber es kommt darauf an, ob der Humor eine beharrliche Stimmung ist, die durchs Leben geht. Wem es aber bitterer Ernst ist mit dem Leben, der kann kein Humorist sein.. Aber muss man denn gerade ein Gewissen haben? Wer fordert es denn?"

Und als Kanzler von Müller einwandte, er habe bei dem Dichter gelesen, Humor sei nichts anderes als der Witz des Herzens, rastete Goethe aus und nannte Müller einen Esel, einen einfältigen Kerl und einen heillosen Burschen. "Ich weiß nicht, was Herz ist, und will ihm den Witz beilegen! Dergleichen Phrasen streifen an meinem Ohre vorüber wie zerplatzte Luftblasen, der Verstand findet absolut nichts darin! das ist hohles Zeug." Goethe soll lange gebraucht haben, um sich wieder zu beruhigen. Die Anwesenden trugen's - vermutlich - mit Humor, glaubt Thomas Wieke, Herausgeber eines Bändchens mit Anekdoten über Goethe, und fragt sich, wer hier eigentlich gesprochen habe: "Der Minister? Der Dichter? Der Naturwissenschaftler? Oder einfach nur ein schlecht gelaunter alter Mann?"

Gero von Wilpert wiederum kommentiert Goethes oben zitierten Ausspruch mit folgenden Worten: "Gewiss ein höchst ehrenwerter Standpunkt für einen Klassiker. Leider."

Goethe wird es zweifellos mit dem, was er sagte, ernst gemeint haben. Aber bei manch anderen seiner Aussprüche, die uns etwas merkwürdig vorkommen mögen, können wir uns vielleicht mit Thomas Wieke trösten, der daran erinnert, dass möglicherweise Goethes in frühen Tagen ausgeprägte Neigung zu Mummenschanz und Maskenspiel jenen "Famuli, die mit gespitztem Bleistift alle seine Sentenzen aufzuspießen und in Alben zu sammeln suchten, den einen oder anderen Blödsinn - gleichsam beiseite gesprochen - in der Absicht diktiert habe, sie - und damit uns Nachgeborene - zum Narren zu halten."

Einige Jahre später, am 24.April 1830, berichtet Kanzler von Müller dann von einem etwas anders verlaufenen Gespräch mit Goethe, als dieser von einem starken, lebhaften Wechsel von Stimmungen erfüllt war. In von Müllers Bericht heißt es: "Im ganzen war er heut sehr lebhaft, aufgeregt, geistreich, aber mehr ironisch und bizarr als gemütlich, mehr negativ als positiv, mehr humoristisch als heiter. Nicht leicht habe ich seine Proteusnatur, sich in alle Formen zu verwandeln, mit allem zu spielen, die entgegengesetztesten Ansichten aufzufassen und gelten zu lassen, anmutiger hervortreten sehen."

Im Leben des Dichters hat der Humor in vielen Schattierungen durchaus eine Rolle gespielt. Galgenhumor bewies er während der Kampagne in Frankreich, als er in Stunden der Gefahr dem Herzog "verwegene frevelhafte" Scherze vorlas. Caroline Schlegel meinte, dass es einen durchtriebeneren Schalk als Goethe auf Erden nicht gäbe, und Georg Küffer von Täufelen geht in seiner 1933 veröffentlichten Dissertation "Goethe und der Humor" sogar so weit, zu behaupten, dass bei Goethe die Voraussetzungen für den Humor außerordentlich günstig gewesen seien. Denn sein Realismus, seine Humanität, sein Pantheismus hätten einen günstigen Nährboden für den Humor gebildet. Sein Ausspruch: "Ich liebe mir den heitern Mann/ Am meisten unter meinen Gästen/wer sich nicht selbst zum besten halten kann/der ist gewiss nicht von den Besten" entspringe ganz der Gemütsverfassung der Humoristen. Hinzu komme, dass Goethe allem Tragischen abhold gewesen und nach Möglichkeit ausgewichen sei. Dafür sei der Humor für Goethe das geeignete Mittel gewesen.

Immerhin musste Goethe gerade in seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten von Menschen seiner engsten Umgebung Abschied nehmen, 1808 starb seine Mutter, 1816 seine Frau Christiane, 1830 sein Sohn August und im selben Jahr auch sein Freund, der Großherzog Karl August.

Ob Caroline Schlegel und Georg Küffer von Täufelen mit ihrer Behauptung Recht haben, das sei hier dahingestellt. Doch so viel ist sicher, dass viele Zeugnisse und Anekdoten dafür sprechen, dass Goethe in seinem Leben, besonders in seiner Jugend durchaus Humor besaß, dass er, wenn ihm danach zumute war, manchen Spaß, Scherz und Schabernack trieb und dann auch eine Gesellschaft zum Lachen bringen konnte. Natürlich war dies nur ein Aspekt seiner Persönlichkeit. Andere Seiten seines Charakters waren geprägt von politischem Verantwortungsgefühl und dem Wohl und Wehe eines zur Repräsentation verurteilten Klassikers. Indes wurde und wird oft heute noch darüber allzu leicht übersehen, dass es auch den anderen, den humorigen, den lustigen Goethe gab, "für den jedoch", wie Volker Fabricius schreibt, "Humor und Ironie nicht Selbstzweck. eher die Mittel waren, um seine eigentlichen Anliegen in geeigneter Weise vorzutragen. Unter dem Datum des 7.Oktober 1828 notierte Johann Peter Eckermann ganz im Sinne seines Herrn und Auftraggebers: "Goethe ( ) sagte noch manches bedeutende Wort, das, den Schein des Scherzes tragend, dennoch aus dem Grund eines tieferen Hinterhaltes hervorging."

Nebenbei bemerkt: Schon in den achtziger Jahren hat der Rezitator und Goethe-Kenner Lutz Görner mit Rezitationen, Musik und launigen Kommentaren einem breiten Publikum Goethe, originell und unkonventionell, erschlossen, indem er die humorvollen, satirischen, aber nicht nur diese Seiten des Dichterfürsten seiner Hörerschaft auf unterhaltsame Weise nahe gebracht hat.


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