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Gab dem Leben Vorrang

Dem Memento mori der christlichen Kirche setzte schon der junge Goethe sein entschiedenes Memento vivere entgegen. "Memento mori! gibt's genug. Mag sie nicht hererzählen", heißt es in einem Altersgedicht, das ganz bezeichnend schließt mit:"Nur vivere memento!" - "Gedenke zu leben", steht im Zentrum des Wilhelm-Meister-Romans.

Kein Zweifel, Goethe räumte dem Leben Priorität ein. Er wollte dem Menschen ein "weltliches Evangelium" bringen, eine frohe Botschaft. "Wir wollen einander nicht aufs ewige Leben vertrösten! Hier noch müssen wir glücklich sein", schreibt er an Auguste Gräfin zu Stolberg im September 1775. "Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt...Auf dieser Erde quillen meine Freuden." Hier auf Erden geht es um Glück und Unglück, Elend und Freude.

Seinen Durchbruch zu voller Bejahung der irdischen Welt brachte schon den jungen Goethe in Opposition sowohl zu den selbstquälerischen, das Leben verdüsternden pietistischen Strömungen als auch zur extrem rationalistischen Position von Aufklärungstheoretikern, denen das menschliche Hirn alles war. Diesen mächtigen Zeittendenzen setzte er unbefangene Daseinsfreude, Ehrfurcht vor dem Leiblichen, Glauben an die natürlichen Organe und Sinn des Menschen entgegen. Goethes Kunst zu leben war primär naturbezogen, Wertschätzung der Natur und Freude am Dasein waren die ersten Gebote seines weltlichen Evangeliums. "Das Höchste, was wir von Gott und der Natur erhalten haben, ist das Leben."

Wer sich nicht seines Lebens freut, versündigt sich Goethe zufolge gegen die Natur und ist dumm. In "Clavigo" heißt es: "Man lebt nur einmal in der Welt, hat nur einmal diese Kräfte, diese Aussichten, und wer sie nicht zum Besten braucht, wer sich nicht so weit treibt als möglich, ist ein Tor."

Die Wertschätzung des schönen Augenblicks ist ein Hauptgebot in Goethes Evangelium. Der Mensch ist eigentlich nur berufen" in der Gegenwart zu wirken", der Kostbarkeit der Zeit eingedenk zu sein, aus Überzeugung vom "Höchsten", was wir von Gott und der Natur erhalten haben.

"Wie es auch sei, das Leben ist gut." /

"Ach, ihr Götter, große Götter /

In dem weiten Himmel droben, /

Gäbet uns auf der Erde /

Festen Sinn und guten Mut /

O wir ließen euch ihr Guten /

Euren weiten Himmel droben. "

Dann wieder sah er eine Zeit kommen, in der Gott keine Freude mehr an der Schöpfung haben würde. Er wird, spekuliert Goethe, dann alles zusammenschlagen zu einer verjüngten Schöpfung. Aber das dauert noch eine Weile und "wir können noch Jahrtausende und aber Jahrtausende auf dieser lieben alten Fläche, wie sie ist, allerlei Spaß haben."


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