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Goethe und die Bibel

Während sich Goethe mit der jiddischen und der hebräischen Sprache nur eine Zeitlang abgegeben hat, hielt seine Beschäftigung mit der Bibel, insbesondere mit dem Alten Testament, ein Leben lang an. Galt ihm doch die Bibel in ihren "beiden Abteilungen" als größte einmalige Leistung der jüdischen Nation. Vor allem, nachdem Herder ihn 1771 auf Bibelkritik und hebräische Poesie hingewiesen hatte, wurden für Goethe die Juden mehr und mehr auch ein Volk bedeutender,bewußt gepflegter Überlieferung und einer großen alten Poesie. Der Dichter, der mit der Lutherbibel aufgewachsen und selbst sehr bibelfest war, hat häufig Aussprüche aus dem Heiligen Buch der Juden, dem Alten Testament, in seinen Briefen, Gesprächen und Dichtungen benutzt. "Ich für meine Person, bekannte er,"hatte die Bibel lieb und wert, denn fast ihr allein war ich meine sittliche Bildung schuldig."

Wie sehr Goethe dem Alten Testament höchste Verehrung gezollt hat, kommt in "Wilhelm Meisters Wanderjahre" und im "Divan" zum Ausdruck. Auch im "Werther"ist eine Fülle alttestamentlicher Bilder und Reminiszenzen verwoben, ebenso im "Götz von Berlichingen", in"Clavigo","Stella",im "Prometheus-Fragment",in "Egmont","Die Wahlverwandtschaften","Hermann und Dorothea", in seinen Gedichten, selbst in der "Iphigenie". Man denke an den Ausspruch: "Die Götter rächen der Väter Missetat nicht an dem Sohn, ein jeglicher, gut oder böse, nimmt sich seinen Lohn mit seiner Tat hinweg." Hinweise auf das Alte Testament finden sich überall in den Werken von Goethe, selbst in der "Geschichte der Farbenlehre".

Goethes Hochschätzung der Bibel bestimmte freilich nicht seine grundsätzliche Haltung zum Judentum. Auch die Tatsache,dass er Personen und Motive der Bibel in sein Werk übernommen hat, kann nicht als Indiz für eine bestimmte Auffassung des Dichters vom Judentum gesehen werden. Schwerlich hat Goethe die fortschrittlichen Juden seiner Zeit, die in Deutschland auf die Gewährung von Menschenrechten warteten, als das"bibelschöpferische Volk" angesehen, das Achtung und Bewunderung verdient. Er hat im allgemeinen lediglich die Verfasser der Bibel als Poeten geschätzt und sich eines interesselosen Wohlgefallens befleißigt, das sich über Nation, Stand und Religion derer erhebt, die es bewirken.


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