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Rückkehr nach Frankfurt und Straßburg

Während der fünf Jahre, die zwischen Goethes Begegnung mit Herder und dem Aufbruch nach Weimar lagen, schritt er im Kennen und Verstehen der griechischen Kunst beträchtlich voran. Seine Gedanken und sein Denken wandte er den griechischen Dichtern und Denkern wieder zu, als er in Straßburg war, wohin er sich im April 1770 zur Fortsetzung seines Rechtsstudiums begeben hatte. Pindar verschlang Goethe mit krampfhaftem Enthusiasmus, in Euripides, Orpheus und Aischylos tauchte er förmlich unter, Homer war sein ständiger Begleiter Mit Ilias und der Odyssee war er gut bekannt. "Homer und Theokrit, Platon und Pindar sollten wie zum Ausgleich für die intensivere Hingabe an die eigene schöpferische Tätigkeit, nacheinander angepackt und bezwungen werden", schreibt Trevelan.

Besonders folgenreich war für Goethe die Begegnung mit Johann Gottfried Herder gewesen, den er später als Generalsuperintendenten nach Weimar holte und von dem er eine Fülle religiöser und theologischer Anregungen empfing. Das Griechenbild, das er sich in Leipzig und danach erworben hatte, erlitt die allergrößten Veränderungen durch Herder. "Ich habe hier meine griechische Weisheit so vermehrt, dass ich fast den Homer ohne Übersetzung lese."

Und Herder schrieb an Merck 1772: "Goethe fing Homer in Straßburg zu lesen an, und alle Helden wurden bei ihm so schön, groß und frei watende Störche.”

Zunächst erprobte Goethe seine neue Fertigkeit, griechisch zu lesen, an Platon und Xenophon, dann an Theokrit, Pindar und Sophokles. Dabei lernte er mehr durch Intuition als durch Grammatik.

"Götter; Helden und Wieland" (September 1773) enthält den ersten Beweis, dass Goethe ein griechisches Drama gelesen hatte. Doch bei griechischen Tragödien blieb er vielfach noch auf Übersetzungen angewiesen. Um Kenntnis und Verständnis griechischer Kunst zu gewinnen, hatte er soviel getan als überhaupt einer tun konnte, der nicht ausschließlich Archäologe war und in Deutschland lebte.

In Sokrates sah er einen heroischen Streiter für Wahrheit und Züchtiger des Irrtums, in Herkules den großen Lebensheld, den “Übermenschen" im Nietzschen Sinne, in Ganymed die Verkörperung der mystischen Ekstase, in Prometheus wiederum den Lebensspender und glich ihn durch seine Schöpfermacht den Göttern an. Die großen Dulder waren für Goethe Tantalus, Ixion und andere mehr.

Griechenland schenkte Goethe neun Gestalten, die er in seinem Werk auf unterschiedliche Weise verwertete: Ganymed, Herkules, Prometheus, Apollo, Bromius, Jupiter, Merkur, Venus und Minerva. Die erste dichterische Einführung griechischer Gestalten als Symbole geschah in "Wandrers Sturmlied" (Frühjahr 1772).

Jupiter Pluvius war für Goethe nicht nur der "Gott des Regens", sondern Symbol für alle Mächtigkeit und Energie des Gewitters, für die befruchtende Kraft, die sich im Regen wie im Genius, gleich dem Pindars, offenbart. Ganymed versinnbildlichte die mystische Fähigkeit, Herkules den "Sakermentskerl" und Prometheus den Künstler in seiner göttlichen Selbstgenügsamkeit. Alle waren Erscheinungsweisen der dämonischen Kraft des Genius. So konnte Goethe Erlebnisse, die ihm sein Dämon brachte, dichterisch darstellen und sich so von den verderblichen Folgen der Verbindung mit dem Dämon befreien. In erster Linie war dieses Bild ein Reflex des Sturms und Drangs in der eigenen Brust. Ja, er stand dem griechischen Genius niemals näher als in den sorglosen Tagen des Sturms und Drangs, die in Weimar endeten.


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