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Der rechtliche und wirtschaftliche Aufstieg der Juden

Erst 1847 wurde die rechtliche Situation der Juden in der preußischen Monarchie durch ein Gesetz vereinheitlicht. Doch hatten die Juden nach wie vor allen Grund, sich nur als Staatsbürger zweiter Klasse zu fühlen. Die Zivilehe wurde ihnen wohl zugestanden, aber die ständischen Rechte blieben ihnen verwehrt. Bestimmte Berufe und Ämter, die mit richterlicher, polizeilicher oder exekutiver Gewalt verbunden waren, durften Juden nicht ausüben, noch durften sie an den Universitäten Dekan, Prorektor oder Rektor sein, ja nicht einmal alle Fächer durften sie studieren und lehren, mit Ausnahme der Fachbereiche Medizin, Mathematik und Physik.

Nach den über die Jahrhunderte hinweg andauernden Demütigungen brachte das 19.Jahrhundert für Juden manchen Wechsel in ihrer Geschichte und in ihrem Zusammenleben mit der übrigen Bevölkerung. Die während der Aufklärung verkündete Gleichheit aller Menschen führte in den durch die Industrialisierung stark anwachsenden Orten Neheim und Hüsten zu einem wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Aufstieg der meisten jüdischen Familien. In preußischer Zeit entwickelte sich die Judenschaft in der Stadt Neheim und in der Freiheit Hüsten freier und zukunftssicherer als in den Epochen zuvor.

Nachdem die Juden am 23.Juni 1847 im Königreich Preußen durch das Gesetz nahezu gleichberechtigt worden waren, bemühten sich die Neheimer Juden, unter ihnen der jüdische Fabrikant Noa Wolff, erneut um Aufnahme in die Bürgerrolle, diesmal mit Erfolg, so daß sie am 30.November 1847 zum ersten Mal an einer Wahl zur Stadtvertretung in Neheim teilnehmen konnten. In der Vorbereitungsphase für das Gesetz zur bürgerlichen Gleichstellung der Juden widmeten bei grundsätzlicher Anerkennung der freien Religionsausübung die staatlichen Behörden der Ordnung des jüdischen Kultuswesen eine gewisse Aufmerksamkeit. Die Königliche Regierung in Arnsberg richtete am 3.April 1843 ein Rundschreiben an die Landräte des Regierungsbezirks sowie an den jüdischen Obervorsteher Hellwitz in Soest und den Ober-Rabbiner Friedländer, um Auskünfte über den Zustand des jüdischen Kultus- und Schulwesens in ihrem Bezirk einzuholen. Die Anfrage wurden von den Landräten an die Magistrate weitergegeben. Obwohl die Bürgermeister der einzelnen Städte über die bei ihnen ansässigen Juden der Regierung noch gesondert Bericht zu erstatten hatten, verhandelten doch der Rat der Stadt und der Vorstand der Synagogengemeinde gleichberechtigt miteinander und respektierten einander als Partner. Die Bürgermeister nahmen sich der Sorgen der Minderheit an, sowohl in Neheim als auch in Arnsberg, und vertraten sie auch gegenüber dem Landrat und der Regierung.

Während der Zeit von 1671 bis 1802, in der für Arnsberg ein Niederlassungsverbot für Juden bestanden hatte, war in Neheim und Hüsten die Zahl der Juden stetig gewachsen. Die meisten hatten von hier aus den Arnsberger Wochenmarkt besucht. Vieles spricht dafür, daß die Bürger in Neheim und in Hüsten die bei ihnen lebenden Juden auch damals schon weitgehend akzeptiert hatten. Kritisch standen sie vor allem jenen gegenüber, die unter dem Schutz der Kaufleute als Knechte und Mägde" unvergleitet" zugezogen waren, weil sie in diesen künftige Konkurrenten sahen.

Der Aufhebung des fragwürdigen Arnsberger Privilegs einer "judenfreien" Stadt folgte eine starke Abwanderung in die Regierungsstadt. Zwischen den Juden beider Orte bestanden fortan zwei Generationen hindurch enge Beziehungen. So beerdigten die Arnsberger Juden ihre Toten lange Zeit auf dem israelitischen Friedhof in Hüsten bis sie 1847 am Seltersberg einen eigenen Friedhof bekamen.

Von 1810 an ließen sich in Arnsberg immer mehr jüdische Familien nieder. Abraham Levi(1789-1851)wurde am 24.10.1811 als erster jüdischer Bürger in das Arnsberger Bürgerbuch aufgenommen. 1843 wird die Zahl der Juden in Arnsberg mit 59 beziffert.Im Jahr 1848 wohnten hier wahrscheinlich zwölf jüdische Familien mit insgesamt 69 Seelen. Ein Jahr später waren in der Stadt Arnsberg 82 Juden ansässig, in der Stadt Neheim 63 und im "Platten Land" 218, im Kreis Arnsberg also 363. Der Bevölkerungsanteil der Juden im untersuchten Zeitraum machte noch keine zwei Prozent aus.

Auch die Juden in Arnsberg und in den umliegenden Ortschaften erlebten einen allmählichen wirtschaftlichen Aufstieg und spielten im Wirtschafts- und Geschäftsleben der Stadt alsbald eine wichtige Rolle. Jüdische Kaufleute bauten in Arnsberg, Neheim und Hüsten angesehene und florierende Geschäfte auf und gehörten innerhalb kurzer Zeit zum wohlhabenden Mittelstand. Daneben wurden traditionelle Handelssparten - besonders der Viehhandel - mit Erfolg weitergeführt ebenso Handwerksbetriebe, vor allem Fleischereien. Aber auch das religiöse, geistige und kulturelle Leben wurde in Arnsberg durch die jüdische Gemeinde bereichert. Akademische Berufe waren in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts hier freilich wie im übrigen Sauerland noch selten. Erst 1863 eröffnete ein jüdischer Arzt, Dr.Albert Amberg, in Arnsberg eine Praxis. Besonders erfolgreich war der Fabrikant Noa Wolff mit seiner Fabrik für Nadeln und andere Metallerzeugnisse in Neheim. (Er wurde 1808 in Berleburg geboren und starb 1907 in Neheim). Neben Friedrich Wilhelm Brökelmann und Josef Cossack hat er Neheim aus dem Zustand einer armen Stadt zur Industriestadt geführt. In jungen Jahren freilich stellten sich Noa Wolff alle Vorurteile einer Kleinstadt in den Weg. Für die meisten war er nur ein Bürger zweiter Klasse, zum Beispiel wurde ihm vom Neheimer Bürgermeister Carl-Joseph Dinslage (1818-1886) lange das Wahlrecht verweigert, und das zu einem Zeitpunkt, an dem schon ein großer Teil der Neheimer Bürger von Wolff abhängig war. In einem Brief an den Oberpräsidenten von Vincke klagte Wolff über "Schwierigkeiten, in einem Ort eine Fabrik zu etablieren, wo selbst erst der Fabrikgeist geweckt werden muß."

Im Herbst 1834 jedoch konnte die Firma Wolff & Elias schon 48 Fabrikarbeitern Lohn und Brot bieten und mußte den Betrieb vergrößern. Freiherr von Vincke, der sich Jahre vorher noch so unfreundlich über Juden geäußert hatte, besichtigte höchstpersönlich im Februar 1834 Wolffs Fabrik und vermittelte dem Fabrikanten die finanzielle Hilfe des Freiherrn Franz Egon von Fürstenberg-Stammheim. Für seine Finanzspritze verlangte der Freiherr, "daß als Arbeiter nur Eingebürgerte Neheims darin gezogen werden sollten, ausgenommen die Fabrikmeister." Für seine Arbeiter gründete Wolff, lange vor ähnlichen staatlichen Maßnahmen eine private Arbeiter-, Kranken- und Unterstützungskasse. Als tiefreligiöser Mensch legte Wolff großen Wert darauf, daß seine Arbeiter sonntags den Gottesdienst besuchten. Den Bau der Neheimer Synagoge an der Mendener Straße hat er ebenso gefördert wie die israelische Schule in Neheim. Später erhielt er für seine Verdienste den Roten Adlerorden IV.Klasse. Die Bürger beriefen ihn zum Ehrenbürger der Stadt Neheim und nannten ihn im hohen Alter liebevoll "Vatter oder Vätterken Noa".


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