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Die Amtsträger waren nicht frei von Judenhaß

Ohnehin legten die Behörden die geltenden Bestimmungen fast immer zum Nachteil der Juden aus. Eine Ehescheidung beispielsweise, die der Landesrabbiner J.A.Friedländer 1839 noch nach der Judenordnung von 1700 durchgeführt hatte, wollten die preußischen Beamten nicht anerkennen. Doch als es fünf Jahre vorher, 1834, darum gegangen war, den Juden Westfalens den Branntweinhandel zu verbieten, da hatte die Regierung von Arnsberg ihrerseits nicht gezögert, just auf dieselbe alte Judenordnung zurückzugreifen.

Ausschlaggebend für die anhaltende Diffamierung der westfälischen Juden während der Zeit des Biedermeier war die Haltung des damaligen Oberpräsidenten Ludwig von Vincke und seiner Beamten. Kurz nachdem Westfalen preußisch geworden war, hatte der in Münster residierende Oberpräsident von den Regierungen in Münster, Minden und Arnsberg Gutachten angefordert, die ihn über die Situation der Juden in den einzelnen Regierungsbezirken im allgemeinen und über deren Zahl, berufliche Gliederung und Verhältnis zur christlichen Umwelt im besonderen informieren sollten. Die Expertisen, die dann seit 1817 bei Vincke nach und nach eingingen, fielen sehr unterschiedlich aus. Der Arnsberger Regierungsrat Esser hatte die Lage der Juden recht günstig dargestellt und war darüber hinaus den antijüdischen Vorurteilen seiner Zeit energisch entgegengetreten, denn für ihn waren, wie er nachdrücklich betonte, an der damaligen allgemeinen Misere nicht die Juden schuld, sondern die allgemeine Armut. Zudem sei stets "der Israelit der unterdrückte Teil" gewesen. Da der Staat der Armut nicht rechtzeitig durch entsprechende Maßnahmen vorgebeugt habe, sei auch er allein für die derzeitige Situation im Lande verantwortlich. Unterstützt wurde Esser von einem Mitarbeiter, dem Regierungsrat Heinrich Christian von Ulmenstein, der Essers Gutachten noch zusätzlich mit einigen Bemerkungen versah. (Ulmenstein war 1818 von Potsdam nach Arnsberg gekommen, wo er die Abteilung I leitete, während Esser der Abteilung II vorstand.) Ulmenstein, beeinflußt von den Ideen Hegels und dem liberalen Ansatz Wilhelm von Humboldts, den er vermutlich von seinen Amtsjahren um 1812 in Potsdam her kannte, war seiner Zeit weit voraus. Für ihn war die Geschichte der Juden in Deutschland eine Geschichte des Unrechts, deren Folge nun seine Generation zu tragen habe. Im Gegensatz zu vielen seiner Amtsbrüder, die in Juden immer noch minderwertige Menschen sahen, trat Ulmenstein vehement für deren bedingungslose Gleichberechtigung ein und verurteilte die bisherigen Reformversuche als "Stückwerk", als "ein polizeilich-staatswirtschaftliches Experiment", das man mit Bangen unternommen habe, ohne dessen Erfolg geduldig abzuwarten. Vor allem fand Ulmenstein es unbegreiflich, daß nicht wenige seiner Zeitgenossen bei einer Emanzipation der Juden gleich den Untergang der Staatsgesellschaft befürchteten, denn "eine Staatsgesellschaft", so sagte der fortschrittliche Beamte, "welche für die Erhaltung die Emanzipierung der Juden besorgt zu sein die Ursache hätte, wäre meiner Ansicht nach schon in der Auflösung begriffen." Auch war Ulmenstein einer der wenigen seiner Epoche, die nach 1815 der Ideologie vom christlichen Staat die Idee der Menschlichkeit und der Vernunft entgegensetzten. Der Staat beruhte, seiner Meinung nach, nicht auf dem Christentum, sondern auf der Idee des Rechts. Dieses dürfe nicht als Vorrecht für die christliche Gesellschaft verstanden werden, vielmehr als Recht für alle.

Ulmensteins konservative Kollegen vertraten dagegen den Standpunkt, daß die Idee vom "christlichen Staat" die Emanzipation der Juden ausschlösse. Die katholische Bevölkerung Westfalens teilte diese im Grunde recht rückständige Ansicht, obwohl sie sich gerade nach dem Kölner Kirchenstreit im preußischen Staat keineswegs emanzipiert fühlte. Doch im Gegensatz zum liberalen Bürgertum im Rheinland tat sich das Bürgertum Westfalens in dieser Frage kaum hervor.

Während das Arnsberger Referendum, dank Esser und Ulmenstein, für die jüdische Bevölkerung günstig war, zeichnete sich das Gutachten des Mindener Referenten durch extreme Judenfeindlichkeit aus. Auch das Referendum aus Münster war gespickt mit antijüdischen Ressentiments und alles andere als eine sachliche Darstellung. Vincke jedoch hat, ohne die für Juden positiven Aussagen im Arnsberger Gutachten zu beachten, nur aus den antijüdischen Gutachten, die das Bild der Juden in den schwärzesten Farben malten, Folgerungen gezogen, wahrscheinlich, weil diese Schriftstücke seinen eigenen Voreingenommenheiten entsprachen. Vincke selbst vertrat nämlich die Ansicht, daß "der Jude" verdorben sei. (Offensichtlich hat Vincke reichlich unbekümmert das in seiner Zeit übliche, für uns aber inzwischen problematisch gewordene Kollektivsingular "der Jude"benutzt) Für ihn war dieser ein Mensch, "der Kunst und Wissenschaft nicht ehrt und sich ihnen nicht widmet, wenn sie nicht unmittelbar zum reichen, raschen Gelderwerb ihm die Aussicht bieten, der den Ackerbau und das Handwerk meidet, "weil jede ruhige anhaltende und körperliche Anstrengung erfordernde Arbeit, die nur langsamen und mäßigen Gewinn verspricht, ihm zuwider ist." Weiter behauptete Vincke, "der sittliche Zustand der Juden"wirke" auf die Moralität und die Gewerbsamkeit ihrer christlichen Mitbürger mannigfach schädlich". Auch seien die Juden am Elend der Bauern schuld. Aber Vinckes Haltung war überaus ambivalent. Auf der einen Seite prangerte er den "Wucher" der Juden immer wieder an, auf der anderen Seite fand er nichts dabei, das jüdische Bankhaus Gebrüder Behrend & Co.in Berlin für sich mit Wertpapieren spekulieren zu lassen.

Der Oberpräsident fertigte dann seinerseits aus den einzelnen Schriftstücken für die westfälischen Provinzialstände ein eigenes, ziemlich negatives Hauptgutachten an. Da nicht zu erwarten war, daß der Landtag von den Analysen und den Verbesserungsvorschlägen der Regierung abweichen würde, arbeiteten die Beamte des Landtages "Verbesserungsvorschläge" aus, die alles wieder zunichte machten, was es seit Christian Wilhelm Dohm(1751-1820), dem engagierten Vorkämpfer der Emanzipation, an Emanzipationsbestrebungen in Preußen gegeben hatte. Außerdem schlug der Landtag"Mittel zur Verhinderung der aus der Verderbtheit der gegenwärtigen jüdischen Generation entstandenen Übel" vor, wie etwa die "Aufhebung des ihnen voreilig durch die Fremdherrschaft ertheilten Bürgerrechts" sowie das Verbot,Grundbesitz und Häuser zu erwerben. Auf diese Weise wollte man, wie es hieß, jeder "übertriebenen Judenbegünstigung" Schranken setzen. Überdies waren die deutschen Regierungen in der um 1815 einsetzenden Restaurationszeit angestrengt darauf bedacht, die Verhältnisse möglichst wieder so herzustellen,wie sie vor der Revolution vor 1798 gewesen waren, das heißt, alle Bestimmungen, die Juden unter Napoleon die gleichen Rechte und Chancen wie den Christen eingeräumt hatten,sollten wieder rückgängig gemacht werden.

Die Austreibung der Juden zu fordern gehörte zwar nicht mehr zum Programm der Politik, sondern blieb allein radikalen Publizisten vorbehalten. Denn für die Regierungen war mittlerweile die Emanzipation der Juden, trotz aller Verzögerungen und Widerstände im einzelnen, zu einem unumstößlichen Ziel geworden. Das schloß indessen nicht aus, daß in der Provinzbürokratie einzelne Beamte eine ablehnende Haltung gegen die weitere bürgerliche und politische Gleichstellung der Juden einnahmen und manche ihre durch Erziehung und Sozialisation erworbene antijüdische Einstellung über eine lange Amtszeit hinweg beibehielten. Auch der Oberpräsident der Provinz Westfalen, Ludwig von Vincke, ließ nicht locker. In einer Denkschrift an das preußische Ministerium des Inneren, das eine Vereinheitlichung der Judenordnungen in Preußen vorbereitete, schlug er 1827 ernsthaft vor, "sämtlichen Juden in der preußischen Monarchie vor die Wahl zu stellen, innerhalb einer zehnjährigen Frist entweder sich taufen zu lassen oder das Reich unerläßlich zu räumen". Nach seiner "innersten Überzeugung" seien die Vorschläge der westfälischen Ständeversammlung zur Rechtsposition der Juden im glücklichsten Falle nur dazu geeignet, den "greulichen Druck" seitens des Judentums einigermaßen zu mildern, "daß jedoch diese philanthropische Hoffnung gänzlich aufgegeben werden muß, dadurch das Judentum in den Juden zu vertilgen und die Assimilierung desselben mit der christlichen Gesellschaft herbeizuführen." Vincke vertrat die "harte Linie" der Emanzipation, der es letztlich um eine totale Auflösung des Judentums ging. Mit seiner Forderung,die Beschneidung zu verbieten, wollte Vincke die Juden darin hindern, am Judentum festzuhalten. Vincke befleißigte sich der typischen Strategie bestimmter Judenfeinde, die ihre Assimilationsforderungen an die Juden so hoch schraubten, daß diese sie unmöglich erfüllen konnten. Auf diese Weise hoffte mancher, sich der Juden entledigen zu können.

Landrat Thüsing in Arnsberg wollte dagegen die jüdische Theologie "verbessert" sehen, damit sie nicht die Juden abhalte, "in solche Lebensverhältnisse zu treten, wie dieses unter allen übrigen Glaubensverwandten wirklich der Fall ist". Er glaubte, daß Juden zu körperlicher Arbeit nicht fähig seien und berief sich dabei auf Analogien aus dem Tierreich. Außerdem schlug Thüsing vor, die Juden in eigenen Kolonien anzusiedeln. Während Essers Ziel die Annäherung des Judentums an das Christentum war, wollten andere die Juden unbedingt zum Christentum bekehren.

Aber auch der ein oder andere Arnsberger Regierungspräsident war nicht frei von Judenhaß. Am 27.3.1822 schrieb der damalige Arnsberger Regierungspräsident an den Landrat Thüsing daß "des Königs Majestät sich die hin und wieder vorkommenden prangenden Bekanntmachungen in öffentlichen Blättern wegen jüdischer Religionsfeierlichkeiten und der Theilnahme christlicher Prediger an denselben wiederholt geäußert und die Aufnahme von dergleichen Anzeigen in die Zeitung untersagt haben." Künftig sollten derartige Anzeigen zurückgewiesen werden. Immerhin seien die jüdischen Gemeinden doch "nur geduldete Religionsgemeinschaften".(Der Name des Regierungspräsidenten wird in der Chronik zwar nicht genannt, aber nach meiner Berechnung müßte es der Regierungspräsident Friedrich von Bernuth gewesen sein, der das Amt des Regierungspräsidenten von 1816 bis 1825 innehatte.)

Der Regierungspräsident Georg Wilhelm Keßler (1782-1846) wiederum äußerte sich in einem Bericht vom 27.5.1844 zu einem Vorfall in Geseke, in den Juden und Antisemiten verwickelt waren, mit deutlich antijüdischen Affekten. Ein jüdischer Junge war gegen den Willen seines Vaters in der katholischen Kirche zu Werl getauft und im Laufe der Streitigkeiten von der Regierung zu Arnsberg gegen den erbitterten Widerstand des Vaters unter die Kuratel eines katholischen Geistlichen gestellt und zum Gymnasium nach Paderborn gebracht worden war. Als jedoch die Unruhen und antisemitischen Umtriebe in Geseke weiter anhielten, ließ die Regierung in Arnsberg wegen der vorgefallenen Exzesse das Schützenfest des Jahres 1845 verbieten. Der Familie des Knaben blieb schließlich nichts anderes übrig, als nach Gütersloh überzusiedeln.

Auch die übrigen Amtsträger in Arnsberg und Neheim waren nicht immer frei von Judenhaß. Erinnert sei nur an den Ausspruch des Arnsberger Bürgermeisters Matthias Werner Hüser(1799-1802): "Die Juden hausieren mit ihren Knechten unaufhörlich in den Häusern, treiben im eigenen Haus allerhand Handel und untergraben den Wohlstand anderer solider Bürger."(Ironie der Geschichte. Hüser wohnte ausgerechnet in dem Haus in der Schloßstraße, in dem einige Jahre später die Synagoge eingerichtet wurde)

Wenige Jahre darauf, nämlich 1818 klagte die Stadt Arnsberg gegen den Preußischen Staat wegen der Aufhebung des Judenprivilegs von 1671. Für das Niederlassungsverbot von Juden in ihrer Stadt hatte sie seinerzeit an Kurfürst Maximilian Heinrich 200 Reichsthaler entrichtet. "Was allen Kurfürsten nach Max Heinrich heilig gewesen war, wurde aber im Jahre 1810 nicht mehr geehret." Jetzt nachdem das Privileg fortgefallen war, wollte die Stadt das Geld zurückerstattet bekommen zuzüglich 5% Zinsen, die seit 1810 angefallen waren, von insgesamt 395 Reichsthalern und 4 Schillingen.

Offensichtlich entsprach die antijüdische Einstellung Vinckes und seiner Beamten weitgehend der Stimmung der Bevölkerung. Immerhin war es 1819 im Zusammenhang mit den sogenannten Hepp-Hepp-Krawallen im gesamten Land auch in Westfalen an verschiedenen Orten, wie etwa in Enger und Hamm, zu antijüdischen Ausschreitungen gekommen, die sich 1833 und 1844/45 in Geseke(Regierungsbezirk Arnsberg) und im nahegelegenen Dorf Störmede und 1843 in Minden (hier agitierte der Antisemit Heinrich Eugen Macard) wiederholten. Häufig griff das Militär ein, freilich weniger zum Schutze der Juden, als vielmehr um die öffentliche Ordnung zu sichern. In Arnsberg selbst war es allerdings um diese Zeit erfreulicherweise ruhig geblieben.


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