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Wie bieder war das Biedermeier und wie bieder ist unsere Zeit?

Das Jahr 1997 war reich an Gedenktagen. Genau zweihundert Jahren zuvor hatten Annette von Droste-Hülshoff, Jeremias Gotthelf, Heinrich Heine, Franz Schubert und auch der erste deutsche Kaiser Wilhelm I. - seine Mutter, die Königin Luise, charakterisierte ihn als "einfach, bieder und verständig" - das Licht dieser Welt erblickt, während sich just hundert Jahre später Johannes Brahms von ihr verabschiedete. Sechs heterogene Persönlichkeiten, sechs individuelle Lebensläufe, von denen manche Spuren hinterlassen haben, die mehr oder weniger in unterschiedlichen Bereichen bis in unsere Gegenwart hineinreichen. Dennoch haben die sechs etwas gemeinsam: sie alle lebten in der Zeit des Biedermeier und waren seinen Strömungen ausgesetzt. Sie wurden von ihnen geprägt oder suchten, diesen zu entkommen. Grund genug, sich zu fragen, was es mit der Epoche des Biedermeier auf sich hat, mit der man oft die Vorstellung von Treuherzigkeit, Geruhsamkeit und einer bürgerlich konservativen bis spießbürgerlichen Lebenshaltung verbindet, zusammen mit einen Hang zu Sentimentalität, Überschwenglichkeit, zur philiströs anmutenden Idylle bei gleichzeitiger Weltfrömmigkeit.

Die Biedermeierzeit, vorwiegend eine deutsche Erscheinung, drückte sich bekanntlich auch in der Kleidung aus, in der Wohnkultur und im Kunstgewerbe. Als Epochenbezeichnung zwischen Klassik und Realismus umfasste sie die Jahre von 1815 bis 1848. Einige sehen im Biedermeier lediglich eine Entwicklungsphase der Romantik, andere dagegen eine "Restaurationsepoche" oder auch "Maulkorb-Monarchie" - sicher nicht von ungefähr. Denn nach dem Wiener Kongreß 1815 und den Karlsbader Beschlüssen im Jahr 1819 wurde die politische Szene vor allem von Politikern beherrscht, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollten. Träger der Beharrungspolitik war Fürst Metternich, ein Mann starrer Prinzipien, der mit parlamentarischen Verfassungen und politischen wie geistigen Freiheiten für das Volk nicht eben viel im Sinn hatte. Vielmehr sorgte er dafür, dass Bürokraten und Polizisten mit immer schärferen Maßnahmen den autoritären Ordnungsstaat am Leben erhielten, dass Burschenschaften und andere liberale und nationale Bewegungen verboten, Zeitungen zensiert, aufmüpfige Professoren unter Polizeiaufsicht gestellt, verhaftet oder des Landes verwiesen wurden.

Nicht wenige in Deutschland jedoch, die die Französische Revolution von fern und die napoleonischen Kriegszeiten im eigenen Land hautnah miterlebt hatten, waren froh, dass wieder Ruhe und Ordnung herrschten, und wollten weder von der großen noch von der kleinen Politik etwas wissen. Des Kämpfens müde, kümmerten sie sich - vielleicht auch aus erzwungener Resignation - zunächst nur um nächstliegende Dinge, innerhalb des Berufs und des eigenen kleinen häuslichen Bereichs, in dem der Hausherr dominierte und staatliches Obrigkeitsdenken an seine "Lieben" weitergab. Der Städter fühlte sich in seinem behaglich eingerichteten Heim am wohlsten, der Bauer auf seinem Hof. Wenn man an Festtagen in den Schützen- und Gesangvereinen zusammenkam, sprach man nicht von den großen politischen Ereignissen, sondern von Beruf und Arbeit, von Heim und Mode oder von den gesellschaftlichen Ereignissen am Hofe des Landesfürsten. In gebildeten Kreisen unterhielt man sich wahrscheinlich darüber hinaus auch über Baukunst, Malerei, Dichtung und Musik. Bevorzugte Bildungsquellen waren der Lesezirkel und das Theater. Allerdings kam es in der bürgerlichen Kultur durch die allgemeine apolitische Haltung alsbald zu einer beträchtlichen Verengung der Lebensführung und des Gesichtskreises. Kein Wunder, dass mancher im Nachtwächter, den es als Institution an einigen Orten damals tatsächlich noch gab, das Symbol dieses Zeitalters sieht.

Gleichwohl verbarg sich hinter der vordergründigen Harmonie ein höchst konfliktreicher Hintergrund. Denn unter der nur scheinbar ruhigen Oberfläche regten sich bereits alle geistigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte, die dann die Dynamik des 19.Jahrhunderts bestimmt haben. Die Biedermeierzeit war nicht nur biedermeierlich, sondern dank des "Jungen Deutschland" und des "Vormärz" gleichzeitig auch das genaue Gegenteil. Die Schriftstellergruppe "Junges Deutschland", die sich 1830 gebildet hatte, forderte Emanzipation auf allen Gebieten. Die Bewegung des "Vormärz" mündete in die März-Revolutionen von Wien und Berlin. Der Begriff selbst kam erst später durch jene in Umlauf, die in den Revolutionen hoffnungsvolle, wenn auch gescheiterte Versuche sahen, die bürgerliche und nationalstaatliche Demokratie in Deutschland zu etablieren.

Trotz aller Hemmnisse ging die Entwicklung weiter, nicht zuletzt durch aufrührerische Studenten, die sich in Burschenschaften zusammengeschlossen hatten. Im Oktober 1817 feierten diese das Wartburgfest zur Erinnerung an die Reformation und an die Völkerschlacht bei Leipzig. 1832 trafen sie sich mit anderen Liberalen und Demokraten in Hambach in der Pfalz. Auch wenn das Hambacher Fest zunächst zur Aufhebung der Versammlungs- und Pressefreiheit führte, so signalisierte es der Obrigkeit doch deutlich, wie sehr es unter der Oberfläche gärte und dass sich die Menschen weder ihr Denken noch ihre Freiheitswünsche verbieten lassen wollten. Versteckt haben auch manche Bürger ihren Unmut über die bestehenden Verhältnisse geäußert, etwa bei Theateraufführungen in der Anonymität des Publikums, und ab 1823, seitdem es den Kölner Rosenmontagszug gab, unter der Verkleidung der Narrenkappe bei Karnevalsumzügen.


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